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Roter Engel

Roter Engel

Titel: Roter Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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verschlossen, und sie schien zufrieden. Im Sommer machte sie das immer so. Toby würde ihrer Mutter ein Sandwich machen und es auf dem Küchentisch für sie liegenlassen. Und dann würde sie ins Bett gehen. Nachmittags um vier würde sie aufwachen, und sie würde mit Ellen zu Abend essen.
    Sie hörte Bryans Wagen wegfahren. Um halb sieben würde er wieder dasein und über Nacht bei Ellen bleiben. Und Toby würde wieder mal zu ihrer üblichen Schicht ins Hospital aufbrechen.
    So viel zu tun, nie genug Zeit.
Das wurde langsam auch Tobys Mantra. Wie die Mutter, so hatte auch die Tochter niemals genug Zeit.
    Sie holte tief Luft und ließ sie ganz langsam wieder herausströmen. Das Adrenalin von den Anspannungen des Morgens war aufgebraucht, und jetzt spürte sie die Müdigkeit wie eine steinerne Last auf ihren Schultern. Sie wußte, daß sie jetzt direkt ins Bett gehen sollte, aber sie schien sich nicht mehr bewegen zu können. Statt dessen stand sie da und sah ihrer Mutter zu, dachte, wie jung Ellen aussah, nicht etwa gealtert, sondern wie ein Mädchen mit rundem Gesicht und Schlapphut. Ein Mädchen, das glücklich Sandkuchen im Garten backte.
    Die Mutter bin jetzt ich,
dachte Toby. Und wie jeder Mutter wurde auch ihr mit einemmal klar, wie schnell die Zeit, die schnellen Augenblicke vergingen.
    Sie kniete sich zu ihrer Mutter auf den Boden.
    Ellen sah sie von der Seite an, und ihre blauen Augen schauten eine Spur verwundert. »Brauchst du etwas, Liebes?« fragte sie.
    »Nein, Mom. Ich dachte mir nur, ich helfe dir etwas Unkraut rupfen.«
    »Ja?« Ellen lächelte, hob eine erdbedeckte Hand und schob eine Strähne Haar aus Tobys Wange. »Bist du sicher, du weißt, welche du ausreißen mußt?«
    »Am besten zeigst du es mir.«
    »Hier.« Ellen führte Tobys Hand sanft zu einem grünen Büschel. »Du kannst damit anfangen.«
    Und Seite an Seite knieten Mutter und Tochter in der Erde und rupften Löwenzahn.

5
    Angus Parmenter steigerte das Tempo auf flotte sechs Meilen pro Stunde und spürte den entsprechenden kleinen Ruck unter den Füßen. Seine Schrittfrequenz beschleunigte sich entsprechend. Auch sein Puls ging hinauf. Er sah es auf der Digitalanzeige am Haltegriff des Laufbands. 112. 116. 120. Die Herztätigkeit mußte angeregt werden, das Blut schneller fließen.
Gib Gas! Sauerstoff in die Lungen pumpen und ausatmen. Die Muskeln brauchen Training.
    Über den Großbildschirm an der gegenüberliegenden Wand liefen als »Langeweile-Killer« Szenen aus einem griechischen Dorf mit weißen Häusern und Straßen aus Kopfsteinpflaster.
    Doch sein Blick blieb fixiert auf die Digitalanzeige zwischen seinen Händen. Der Puls kletterte auf 130 und erreichte damit die vorgesehene Marke. Diesen Level wollte er die nächsten zwanzig Minuten halten und dann langsam wieder heruntergehen auf hundert, dann achtzig, schließlich zu den gewohnten achtundsechzig im Ruhezustand. Dann kam das Training an den Kraftgeräten, vor allem für den Oberkörper, und danach die Dusche. Bis dahin würde es Zeit sein für einen Lunch, fettarm, proteinreich, vor allem Rohkost, drüben im Speiseraum des Country Clubs. Zusammen mit dem Essen waren ein paar seiner täglichen Pillen fällig: Vitamin E, Vitamin C, Zinktabletten, Selen. Ein Vorrat an Arzneien, die magisch den Alterungsprozeß aufzuhalten versprachen.
    Und alles zusammen schien tatsächlich zu wirken. Zweiundachtzig Jahre war Angus Parmenter jetzt alt, und er hatte sich noch nie besser gefühlt. Nun genoß er die Früchte seiner Arbeit im Leben. Er hatte für seinen Reichtum geschuftet, mehr, als all die jammernden jungen Leute von heute dies jemals in
ihrem
Leben würden tun müssen. Er hatte Geld, und er hatte vor, noch lange genug zu leben, um es auszugeben, jeden letzten gottverdammten Penny. Sollte sich die nächste Generation doch selber ihr Vermögen verdienen. Hier war
er
jetzt am Zug.
    Nach dem Lunch würde er mit Phil Dorr und Jim Bigelow, seinen Freunden und sportlichen Konkurrenten, eine Runde Golf spielen. Dann konnte er, wenn er wollte, mit dem Brant-Hill-Pendeldienst in die City fahren. Heute abend stand ein Besuch von »Cats« im Wang Center auf dem Programm. Aber wahrscheinlich würde er das Musical auslassen. Die Damen in seiner Begleitung würden wahrscheinlich alle zu singenden »Kitty-Cats« mutieren, aber ohne ihn – er hatte die Show schon am Broadway gesehen, und zwar oft genug.
    Nebenan hörte er das Trimmrad lossurren. Jim Bigelow warf sich mit Schwung in die

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