Roter Engel
überlegen war. Man brauchte seinen Namen oder seinen Beruf gar nicht zu kennen. Die Überlegenheit konnte man quasi
riechen,
so, wie man roch, daß die Sitze hier lederbezogen waren. Im Vergleich zu ihm war ein Typ wie Romulus Bell nur ein Stück Dreck, das in seinen Wagen gefallen war und bei nächster Gelegenheit wieder rausgefegt wurde. Keinen Blick nach hinten wert.
Romy sah den ungeschützten Hals des Mannes vor sich und dachte, wie leicht es doch wäre, die Rollen zu vertauschen.
Wenn er wollte. Gleich fühlte er sich besser.
»Sie haben mir etwas zu sagen?« meinte der Fahrer.
»Ja. Einem meiner Mädchen ist wieder ein Kind gemacht worden.«
»Sind Sie sicher?«
»Hey, ich kenne meine Mädchen von innen und außen. Ich weiß es, bevor sie es selbst wissen. Bisher habe ich immer recht gehabt, oder?«
»Sie haben.«
»Was ist mit dem Geld? Ich soll Geld von Ihnen kriegen.«
»Da gibt es ein Problem.«
»Was für ein Problem?«
Der Fahrer griff zum Innenspiegel und verstellte ihn. »Annie Parini hat heute morgen nicht ihre Verabredung eingehalten.«
Romy wurde steif in seinem Sitz und faßte nach der anderen Rückenlehne. »Was?«
»Ich habe sie nicht gesehen. Sie hat nicht, wie sie sollte, an der Common gewartet.«
»Sie war da. Ich habe sie selber hingebracht.«
»Dann muß sie wieder gegangen sein, bevor ich ankam.«
Diese blöde Schlampe,
dachte er. Wie konnte er den Laden am Laufen halten, wenn seine Weiber sich immer gegen ihn auflehnten und ständig Mist bauten? Weiber hatten kein Hirn.
Und jetzt sah auch
er
alles andere als gut aus, ihretwegen.
»Wo ist Annie Parini, Mr. Bell?«
»Ich werde sie schon finden.«
»Machen Sie schnell. Länger als noch einen Monat können wir nicht mehr warten.« Der Mann wedelte mit der Hand. »Sie können jetzt aussteigen.«
»Was ist mit dem Geld?«
»Heute gibt es keines.«
»Aber ich sagte Ihnen doch: Ich habe die nächste mit einem Kind im Bauch.«
»Diesmal wollen wir erst die Lieferung. In der zweiten Novemberwoche. Und verlieren Sie diesmal Ihre Ware nicht wieder. Steigen Sie jetzt aus, Mr. Bell.«
»Ich brauche aber …«
»
Raus.
«
Romy stieg aus und schlug die Tür zu. Im selben Moment fuhr der Wagen an, und Romy konnte ihm nur noch wütend nachstarren.
Er ging die Tremont Street weiter, und mit jedem Schritt wuchs seine Erregung. Er wußte, wo Annie Parini sich herumtrieb. Er wußte, wo er sie zu suchen hatte, und er würde sie finden.
Was der Fahrer gesagt hatte, saß tief.
Verlieren Sie diesmal Ihre Ware nicht wieder.
Das Telefon läutete Toby aus einem so tiefen Schlaf, daß sie glaubte, durch dicke Schlammschichten aufzutauchen. Sie tastete nach dem Hörer und stieß ihn herunter. Er fiel auf den Boden. Sie rollte auf die Seite, um ihn aufzuheben, und dabei fiel ihr Blick auf den Wecker. Es war zwölf Uhr mittags – für sie entsprach das Mitternacht. Der Hörer war zwischen Bett und Nachttisch gerutscht, und sie mußte ihn am Spiralkabel wieder heraufziehen.
»Hallo?«
»Dr. Harper. Hier ist Robbie Brace.«
Sie war noch im Halbschlaf und mußte sich erst einmal erinnern, wer der Mann war und warum ihr seine Stimme so bekannt vorkam.
»Brant-Hill-Pflegestation«, sagte er. »Wir sind uns vor zwei Tagen begegnet. Sie haben sich bei mir über Harry Slotkin erkundigt.«
»Ach, ja.« Sie setzte sich auf. Mit einem Schlag war ihr Kopf klar. »Danke, daß Sie anrufen.«
»Ich fürchte, viel kann ich Ihnen nicht erzählen. Vor mir liegt Mr. Slotkins Akte, und aus der sehe ich, daß er völlig gesund ist.«
»Er hat überhaupt nichts?«
»Nichts, was seinen Zustand bei Ihnen erklären könnte. Die allgemeine Untersuchung hat keinerlei Auffälligkeiten gezeigt.
Laborwerte gut …« Toby hörte es rascheln. Er blätterte in der Akte. »Voll ausgeglichener Hormonspiegel, total normal.«
»Von wann datieren die Angaben?«
»Es ist einen Monat her. Was Sie also in Ihrer Notaufnahme erlebt haben, muß ganz akut gewesen sein.«
Sie schloß die Augen und spürte, wie sich ihr Magen zusammenzog. »Gibt es denn etwas Neues?« fragte sie.
»Heute morgen haben sie den Teich abgesucht. Gefunden haben sie ihn dort nicht. Was ja nur gut ist. Meine ich.«
Ja. Das konnte heißen, er war noch am Leben.
»Jedenfalls ist das alles, was ich Ihnen sagen kann.«
»Danke«, sagte sie und hängte ein. Sie wußte, am besten wäre es, wenn sie jetzt wieder einschliefe. Abends mußte sie wieder an die Arbeit, und ihr blieben nur noch vier
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