Roter Engel
noch etwas?«
»Aber vielleicht wollen Sie ein Dünnschicht-CT anordnen. Nachdem der Patient nun mal gerade im CT ist …«
»Das wird nicht nötig sein. Schaffen Sie ihn nach oben, und ich schreibe die Überweisung aus.«
»Was ist denn mit dieser Läsion? Ich weiß, so ein Adenom ist kein Notfall, aber vielleicht muß es chirurgisch entfernt werden.«
Mit einem ungeduldigen Seufzer drehte er sich um und sah sie an. »Ich bin mir des Adenoms
absolut
bewußt, Dr. Harper. Ich verfolge seine Entwicklung jetzt seit zwei Jahren. Die Thinslice-Tomographie wäre reine Geldverschwendung. Aber ich
bedanke
mich sehr für Ihren guten Rat.« Er marschierte aus dem Zimmer.
»Du meine Güte«, murmelte Vince. »Welcher Affe hat den denn gebissen?«
Toby warf noch einmal einen Blick durch das Sichtfenster auf Angus Parmenter, der immer noch leise vor sich hin brabbelte.
Sie konnte Wallenberg nicht folgen. Weitere radiologische Untersuchungen waren angesagt. Doch der Patient war nicht mehr in ihrer Verantwortung.
Sie sah Vince an. »Kommen Sie. Heben wir ihn auf die Bahre.«
7
Auf dem Schild stand in mattblauen Buchstaben auf grauem Grund:
Schwangerschaftsberatung.
Molly hörte hinter der Tür ein Telefon läuten und zögerte, die Hand am Türknopf. Auf der anderen Seite hörte sie entfernt die Stimme einer Frau.
Sie holte tief Luft. Dann ging sie hinein.
Die Frau am Empfang sah sie zuerst gar nicht, weil sie mit ihrem Telefongespräch zu beschäftigt war. Molly blieb vor dem Schreibtisch stehen und wartete, daß man Notiz von ihr nahm. Sie wollte diese vielbeschäftigte Frau nicht einfach unterbrechen. Schließlich legte die Frau auf und sah sie an. »Kann ich Ihnen helfen?«
»Hm, ich würde gern mit jemandem reden …«
»Sind Sie Molly Picker?«
»Ja.« Molly nickte erleichtert. Sie erwarteten sie. »Das bin ich.«
Die Rezeptionistin schenkte ihr ein Lächeln. Eines von der Sorte, bei der sich der Mund zwar bewegte, aber sonst nichts. »Ich bin Linda. Wir haben uns schon am Telefon unterhalten. Gehen wir nach nebenan?«
Molly sah sich im Empfangsbereich um. »Ich dachte, ich treffe hier erst mal eine Schwester oder so. Weil ich vorher vielleicht eine Probe pinkeln muß?«
»Nein, heute reden wir nur miteinander, Molly. Aber wenn Sie gleich mal müssen, die Toilette ist da am Ende des Flurs.«
»Ich glaube, das hat Zeit.«
Sie folgte der Frau in den Raum nebenan. Es war ein kleines Büro mit einem Schreibtisch und zwei Stühlen. An einer Wand hing ein riesiges Poster mit dem Bauch einer schwangeren Frau, ein Querschnitt, denn man konnte das Baby drinnen liegen sehen mit seinen kleinen rundlichen Ärmchen und den zusammengerollten Beinen, die Augen im Schlaf geschlossen. Auf dem Schreibtisch stand ein Plastikmodell von einem schwangeren Mutterleib, ein 3-D-Puzzle, das man Lage um Lage auseinandernehmen konnte, Bauch, Gebärmutter, Baby. Außerdem lag ein aufgeschlagenes Buch auf der Tischplatte mit dem herausklappbaren Bild eines leeren Kinderwagens.
»Setzen Sie sich doch«, sagte Linda. »Eine Tasse Tee? Oder lieber Apfelsaft?«
»Nein, Ma’am.«
»Bestimmt nicht? Es macht mir wirklich keine Mühe.«
»Danke, ich bin nicht durstig, Ma’am.«
Linda setzte sich Molly gegenüber, so daß sich beide direkt ansehen konnten. Aus dem Lächeln der Frau war ein besorgter Blick geworden. Sie hatte hellblaue Augen mit ein bißchen Make-up. Diese Augen hätte man schön nennen können, wäre da nicht dieser gleichgültig-humorlose Blick gewesen. Nichts an dieser Frau – nicht ihre Vorstadt-Hausfrauen-Dauerwelle, nicht ihr hochgeschlossenes Kleid und nicht ihre schmalen roten Lippen – war dazu angetan, Molly die Spannung zu nehmen. Sie waren beide so unterschiedlich, daß sie auch von einem anderen Planeten hätten stammen können. Ihr war klar, daß die andere Frau das auch merkte. Sie sah es an der Art, wie Linda hinter ihrem Schreibtisch saß, die Schultern hochgezogen, die knochigen Hände vor sich gefaltet. Molly hatte plötzlich das Gefühl, sie müsse ihren Rocksaum herunterziehen und die Arme schützend vor der Brust verschränken. Und sie spürte darin ein Stechen, wie sie es lange nicht mehr erlebt hatte.
Sie schämte sich.
»Also«, sagte Linda. »Erzählen Sie mir von sich, Molly.«
»Von, ehm, mir?«
»Sie sagten am Telefon, Sie seien schwanger. Gibt es irgendwelche Hinweise?«
»Ja, Ma’am, ich denke schon.«
»Können Sie mir sagen, welche?«
»Ich, ehm …« Molly sah auf ihren Schoß.
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