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Roter Engel

Roter Engel

Titel: Roter Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Der kurze Rock rutschte ihr die Schenkel hoch. Sie rückte auf dem Stuhl ein wenig hin und her. »Morgens ist mir schlecht. Ich muß dauernd pinkeln. Und ich habe schon eine Weile meine Tage nicht mehr.«
    »Wann war Ihre letzte Periode?«
    Molly zuckte mit den Schultern. »Ich bin nicht ganz sicher. Ich glaube, im Mai.«
    »Das ist über vier Monate her. Haben Sie sich keine Gedanken darüber gemacht, daß sie so lange überfällig waren?«
    »Also, ich habe es wirklich nicht so genau verfolgt, wissen Sie?
    Und dann habe ich diesen verdorbenen Magen gehabt, und ich habe gedacht, daß es das war. Und außerdem, ich – ich glaube, ich wollte nicht daran denken. Was ich davon halten sollte. Sie wissen ja, wie das ist.«
    Offenbar wußte Linda das nicht. Sie sah Molly nur aus ihren zusammengekniffenen Augen an. »Sind Sie verheiratet?«
    Molly lachte verwundert. »Nein, Ma’am.«
    »Aber Sie hatten … Sex.« Das Wort kam unnatürlich heraus, wie geräuspert, ein tiefes, heiseres Kratzen.
    Molly zappelte auf ihrem Stuhl. »Also, ja«, antwortete sie. »Ich hatte Sex.«
    »Ungeschützten?«
    »Sie meinen, ob ich Gummis benutze? Ja, sicher. Aber ich glaube, ich … ich hatte Pech.«
    Wieder räusperte sich die Frau. Sie faltete ihre Hände auf dem Schreibtisch. »Molly, wissen Sie, wie Ihr Baby jetzt im Augenblick aussieht?«
    Molly schüttelte den Kopf.
    »Sie wissen, daß Sie tatsächlich ein Kind unterm Herzen tragen, nicht wahr?« Die Frau schob Molly das Buch hin und blätterte vor zum Anfang. Sie zeigte auf eine Abbildung, ein winziges Baby, ganz in sich zu einem kleinen Fleischball zusammengerollt. »So sieht es mit vier Monaten aus. Es hat ein kleines Gesicht und richtige kleine Hände und Füße. Schauen Sie, wie perfekt es schon ist. Es ist ein echtes Baby. Ist es nicht süß?«
    Molly wippte unbehaglich auf ihrem Stuhl.
    »Hat es schon einen Namen? Sie sollten ihm einen Namen geben, meinen Sie nicht? Weil Sie es bald spüren werden. Wie es sich in Ihnen bewegt, und Sie können dann doch nicht einfach
hey, du
zu ihm sagen. Wissen Sie, wer sein Vater ist?«
    »Nein, Ma’am.«
    »Na gut. Wie heißt denn
Ihr
Daddy?«
    Molly schluckte. »William«, flüsterte sie. »Mein Vater heißt William.«
    »Das ist ein schöner Name! Dann nennen wir Ihr Baby doch einfach Willie. Natürlich, wenn es ein kleines Mädchen wird, müssen wir es eben anders nennen.« Sie lächelte. »Es gibt heute so viele hübsche Namen für Mädchen! Sie könnten ihm auch Ihren Namen geben.«
    Molly sah sie verblüfft an. Vorsichtig fragte sie: »Warum machen Sie das mit mir?«
    »Machen? Was, Molly?«
    »Was haben Sie vor mit …?«
    »Ich stelle Ihnen etwas zur Wahl. Es ist die einzige Wahl. Sie haben da drinnen ein Baby, einen vier Monate alten Fötus. Der liebe Gott hat Ihnen etwas Heiliges anvertraut.«
    »Aber Ma’am, es war nicht der liebe Gott, der mit mir gefickt hat.«
    Die Frau schnappte nach Luft. Ihre Hand fuhr erschreckt zum Hals.
    Molly rutschte auf dem Stuhl. »Ich glaube, ich sollte jetzt gehen …«
    »Nein, nein, ich versuche nur, Ihnen alle Möglichkeiten zu zeigen – alle. Sie haben wirklich die Wahl, Molly, und lassen Sie sich von niemandem etwas anderes einreden. Sie können sich für das Leben dieses Babys entscheiden. Für den kleinen Willie.«
    »Bitte, nennen Sie ihn nicht so.« Molly stand auf.
    Auch Linda stand auf. »Er hat einen Namen. Er ist ein
Mensch.
    Ich kann Sie an einen Verein weitervermitteln, der sich um Adoptionen kümmert. Es gibt Menschen, die Ihr Baby haben wollen -Tausende Familien, die nur auf eines warten. Es ist an der Zeit, daß Sie auch mal an andere denken.«
    »Aber ich muß an mich selber denken«, flüsterte Molly. »Weil es sonst niemand tut.« Sie verließ das Büro und das Haus.
    In einer Telefonzelle fand sie ein Verzeichnis von Boston, zusammen mit den Gelben Seiten. Dort stand etwas von einer »Klinik für Geplante Elternschaft«. Sie lag am anderen Ende der Stadt.
    Ich muß an mich selber denken. Weil es sonst niemand tut. Nie getan hat.
    Sie nahm den Bus, stieg zweimal um und verließ ihn einen Block vor ihrem Ziel.
    Auf dem Gehsteig hatte sich eine Menge Menschen versammelt. Molly hörte sie singen, aber sie verstand die Worte nicht.
    Es war nur ein lauter Chor von Stimmen, die rhythmisch zu ihr herüberklangen. Zwei Cops standen etwas entfernt und schauten mit verschränkten Armen gelangweilt zu.
    Molly blieb stehen. Sie wußte nicht, wie sie dort am besten vorbeikommen könnte.

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