Roter Engel
Verwaltungsratssitzung«, sagte er. »Sie ist gerade zu Ende gegangen. Ich dachte, ich komme gleich vorbei und sage dir, was passiert ist.«
»Ich nehme an, es ging wieder um Harry Slotkin.«
»Das war einer der diskutierten Punkte.«
»Es gab noch andere?«
»Auch die Geschichte mit der Autopsie kam aufs Tapet.«
»Natürlich. Ich habe das Gefühl, ich sollte mich dafür hinsetzen.«
»Vielleicht sollten wir das beide tun.«
Sie setzte sich auf einen Stuhl auf der anderen Seite des Eßtischs. »Wenn es eine ›Grill-Dr.-Harper‹-Sitzung war, warum wurde ich dann nicht zu dem Barbecue eingeladen?«
Paul seufzte. »Toby, die Krise wegen Harry Slotkin hätten wir beide, du und ich, schon durchgestanden. Denn bisher ist das Glück in der Sache auf deiner Seite. Von Slotkins Familie hört man noch nichts über gerichtliche Schritte. Und die negative Publicity ist auch vorbei. Soviel ich hörte, hat Brant Hill alle weiteren Neuigkeiten unterdrückt. Und Dr. Wallenberg auch.«
»Warum sollte Dr. Wallenberg mir irgendeinen Gefallen tun?«
»Ich nehme an, es war gar nicht gut für Brant Hill, daß bekannt wurde, einer ihrer wohlhabenden Patienten laufe draußen wie ein Tippelbruder durch die Gegend. Weißt du, die Bewohner von Brant Hill sind nicht die üblichen Sun-City-Ruheständler.
Brant Hills Erfolg ist, daß dort nicht alles nur nach Gold glänzt, sondern nach Platin. Dort ist man ganz oben, und dafür läßt man auch die Dollars springen. Und man lockt gerade keine neuen Leute an, wenn es auch nur die leisesten Zweifel gibt, daß die Kundschaft nicht bestens versorgt ist.«
»Dann hat Dr. Wallenberg also seine Melkkuh beschützt und nicht mich.«
»Warum auch immer, er hat dir aus der Klemme geholfen. Aber jetzt hast du ihn gegen dich aufgebracht. Er ist stinksauer. Was hast du dir dabei gedacht? Den Amtlichen Leichenbeschauer zu rufen. Aus der Sache einen Fall für die Rechtsmedizin zu machen.«
»Das war der einzige Weg, um zu einer Diagnose zu kommen.«
»Der Mann war gar nicht mehr dein Patient. Eine Autopsie vorzunehmen lag in der Entscheidungskompetenz von Dr. Wallenberg.«
»Aber er ist der Frage ausgewichen. Entweder wollte er die Todesursache nicht wissen, oder er hatte Angst davor, sie zu erfahren. Mir blieb gar nichts anderes übrig.«
»Du hast dafür gesorgt, daß er in der Sache nicht gut aussieht, und sogar den Anschein erweckt, als wäre das Ganze ein Kriminalfall.«
»Ich war besorgt, daß es die öffentliche Gesundheit gefährden könnte …«
»Das ist kein Fall für die Gesundheitsvorsorge, sondern ein Hauen und Stechen unter Kollegen. Wallenberg hat an der Sitzung heute abend teilgenommen. Doug Careys Verbündete ebenfalls. Es war ein Grillabend, stimmt. Und du warst die Hauptspeise. Wallenberg droht jetzt, er werde alle Brant-Hill-Patienten nicht mehr ins Springer einweisen, sondern ins Lakeside Hospital. Das trifft uns schmerzhaft. Vielleicht ist dir nicht klar, daß Brant Hill nur ein Glied in einer langen Kette ist. Sie hängen mit einem Dutzend weiterer Pflegeheime zusammen, und alle schicken ihre Patienten zu uns. Weißt du, wieviel Geld wir allein damit machen, daß wir ihnen ihre Hüften wieder zusammenschrauben? Zähl die grauen und grünen Stare dazu, die Hämorrhoiden, Gicht und Rheuma, und du kommst auf ein ganzes Schock Patienten, von denen die meisten ordentliche Zusatzversicherungen haben. Wir können den Verlust solcher Einweisungen nicht kompensieren. Aber genau damit droht Wallenberg uns.«
»Und alles wegen dieser Autopsie?«
»Er hat ziemlich gute Gründe, sich so aufzuregen. Als du die Rechtsmedizin anriefst, mußte das so aussehen, als wäre Wallenberg inkompetent. Oder noch schlimmer. Inzwischen rufen wieder die Zeitungen an. Das könnte der nächste Schub an negativer Publicity werden.«
»Und die entsprechenden Tips kriegen sie von Doug Carey. Er ist so etwas von hinterhältig.«
»Ja, schon, aber Wallenberg ist jetzt sauer und fürchtet, daß sein Name mit hineingezogen werden könnte. Und der Verwaltungsrat ist sauer, weil er alle Einweisungen aus Brant Hill verlieren könnte.«
»Und damit sind sie alle zusammen natürlich sauer auf mich.«
»Überrascht dich das?«
Langsam blies sie die Luft aus den Lungen. »Okay, ihr hattet also euren Grillabend, und ich bin der geschrumpelte Braten.«
Paul nickte. »Wallenberg will deine Kündigung. Natürlich geht das nur über mich, denn ich bin schließlich der Chef der Notaufnahme. Sie haben mir
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