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Roter Engel

Roter Engel

Titel: Roter Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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mit ihr gesprochen habe, ihre Meinung geändert haben«, sagte Wallenberg.
    »So sieht es aus. Wie dem auch sei, die Autopsie hat bereits stattgefunden.«
    »Schon?«
    »Es ist ein relativ ruhiger Tag heute.«
    Wieder eine Pause. Als Wallenberg weiterredete, klang seine Stimme eigenartig gedämpft. »Und die Leiche … sie wird komplett an die Familie überstellt?«
    »Gewiß. Mit sämtlichen Organen.«
    Wallenberg räusperte sich. »Ich denke, das wird Sie zufriedenstellen.«
    Interessant, dachte Dvorak, als er auflegte. Er hat mich mit keinem Wort gefragt, was die Autopsie an Ergebnissen gebracht hat.
    Er repetierte das Gespräch noch einmal. Hatte man ihn da einfach in die internen Rangeleien an einer Vorstadtklinik hineingezogen? Wallenberg hatte Dr. Harper als eine nicht weiter wichtig zu nehmende Ärztin bezeichnet, als eine Frau, gegen die eine Überprüfung lief, vielleicht eine Kollegin, die im Streit mit dem übrigen Stab lag. War ihre Bitte um eine Autopsie bloß der Versuch, einen anderen Arzt im Stab des Krankenhauses einzuschüchtern?
    Er hätte heute morgen ein bißchen machiavellistischer sein sollen und ihre Motive erfragen wollen. Aber Dvoraks Schlußfolgerungen zielten immer auf das Konkrete. Seine Informationen holte er sich aus dem, was er sehen, tasten und riechen konnte.
    Die Geheimnisse einer Leiche konnte man leicht mit Hilfe eines Messers ans Tageslicht bringen. Was dagegen die lebenden Menschen bewegte, blieb ihm meist ein Rätsel.
    Die Sprechanlage summte. »Dr. Dvorak?« meldete sich Stella.
    »Dr. Toby Harper ist am Apparat. Soll ich sie durchstellen?«
    Dvorak überlegte und kam zu dem Schluß, daß er nicht in der Stimmung war, sich mit einer Frau zu unterhalten, die ihm bereits den Tag ruiniert hatte. »Nein«, sagte er.
    »Und was soll ich ihr sagen?«
    »Ich bin bereits nach Hause gefahren.«
    »Na gut, wenn Sie das wirklich wollen …«
    »Stella?«
    »Ja?«
    »Wenn sie noch einmal anruft, geben Sie ihr die gleiche Antwort. Ich bin nicht zu erreichen.«
    Er legte auf und ging zurück in den Autopsieraum.
    Lisa stand über das Sezierbrett gebeugt und schnitt einen Streifen von der Leber ab. Sie sah auf, als er hereinkam. »Und?« fragte sie. »Machen wir die Gewebeproben fertig?«
    »Tun Sie das. Und dann legen Sie die Organe wieder in die Bauchhöhle. Die Familie will sie alle zurückhaben.«
    Sie machte den nächsten Schnitt und hielt dann an. »Und was ist mit dem Gehirn? Es muß noch eine Woche im Fixierbad liegen.«
    Sein Blick fiel auf das Gefäß, in dem Angus Parmenters Gehirn im Formalin lag. Dann sah er auf seinen verbundenen Finger und dachte daran, wie das Skalpell durch zwei übereinandergezogene Handschuhe bis in sein Fleisch gedrungen war.
    »Das behalten wir hier«, sagte er. »Ich ziehe nur wieder die Kopfhaut hoch und nähe sie zu.« Er zog ein neues Paar Handschuhe an und holte Nadel und Faden aus einer Schublade. »Sie werden nie erfahren, daß es gar nicht darin ist.«
    Toby legte enttäuscht den Hörer wieder auf. Hatte die Autopsie nun stattgefunden oder nicht? Seit zwei Tagen versuchte sie Daniel Dvorak zu erreichen, aber jedesmal hatte seine Sekretärin gesagt, er sei nicht da, und aus ihrem Tonfall hatte sie herausgehört, daß Tobys Anrufe nicht erwünscht waren.
    Die Bratröhre summte. Toby drehte das Gas ab und zog die Kasserolle aus dem Ofen. Heute abend mußte es schnell gehen – Lasagne aus dem Gefrierfach und ein bejammernswert welker Salat. Zum Einkaufen war sie nicht mehr gekommen. Auch Milch war keine mehr da, und so füllte sie zwei Gläser mit Wasser und stellte sie auf den Küchentisch. Ihr ganzes Leben war scheinbar zu einer ungeordneten Aneinanderreihung von kurzatmigen Notbehelfen geworden. Im Spülbecken türmten sich die Reste von Tiefkühlessen, und zerknitterte Blusen hingen aus dem Trockner. War ihre spürbare Schlappheit nun das Anzeichen einer aufkommenden Grippe, oder ließ eine geistige Erschöpfung sie so durchhängen? Sie öffnete die Küchentür und rief: »Mom, das Essen ist fertig! Komm und iß.«
    Ellen hob die Nase aus einem Kosmetiktöpfchen und schlurfte gehorsam in die Küche. Toby wusch ihr am Spülbecken die Hände und führte sie zum Tisch. Dann band sie ihr einen Latz um den Hals, schob ihr einen Teller mit Lasagne hin und schnitt sie in kleine Bissen. Mit dem Salat machte sie das gleiche.
    Schließlich gab sie Ellen eine Gabel in die Hand.
    Ellen aß nicht, sondern wartete und sah ihrer Tochter zu.
    Toby setzte sich,

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