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Roter Engel

Roter Engel

Titel: Roter Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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in die Augen, und Tränen rannen ihr über die Wangen. »Ich weiß niemanden, zu dem ich gehen könnte …«
    Schweigen am anderen Ende. Dann sagte Sophie: »Hey, Miss Ohne-Titten, hör mir zu. Ich glaube, ich kenne wen, wo dir vielleicht geholfen wird. Nur für ein paar Nächte. Dann mußt du wieder allein zurechtkommen. Hey, hörst du mich?«
    Molly holte tief Luft. »Ja.«
    »Es ist drüben in der Charter Street. An der Ecke gibt es eine Bäckerei mit einer Pension nebenan. Das Mädchen hat da ein Zimmer im ersten Stock.«
    »Wer?«
    »Frag einfach nach Annie.«
    »Du bist eines von Romys Mädchen, nicht?«
    Die Frau sah sie durch die Türritze über die Kette hinweg an. Molly konnte ihr Gesicht nur zur Hälfte sehen – hellrote Locken, ein blaues, müde blickendes Auge mit einem dunklen Ring.
    »Sophie hat mir gesagt, ich soll mich an dich wenden«, sagte Molly. »Sie sagte, du hast vielleicht Platz für mich …«
    »Sophie hätte erst einmal mich fragen sollen.«
    »Bitte … könnte ich hier nicht schlafen … nur heute nacht?«
    Molly zitterte, schloß die Arme um ihre Schultern und sah zurück in den dunklen Flur. »Ich weiß sonst nicht, wohin. Ich bin auch ganz ruhig. Du wirst mich nicht einmal bemerken.«
    »Was hast du gemacht, daß Romy so sauer auf dich ist?«
    »Nichts.«
    Die Frau wollte die Tür zumachen.
    »Warte!« schluchzte Molly. »Okay, okay. Ich glaube, ich habe ihn stinksauer gemacht. Ich wollte nicht noch mal zu dem Doktor …«
    Langsam ging die Tür ein Stück weiter auf. Der Blick der rothaarigen Frau ging an Mollys Figur hinab bis zum Bauch. Sie sagte nichts.
    »Ich bin so erschöpft«, flüsterte Molly. »Kann ich nicht einfach auf dem Boden schlafen? Nur eine Nacht.«
    Die Tür ging zu.
    Molly wimmerte verzweifelt. Dann hörte sie die Kette rasseln, und die Tür schwang auf. Die Frau stand als Ganze vor ihr. Unter dem blümchengemusterten Kleid wölbte sich ein runder Bauch. »Komm rein«, sagte sie.
    Molly betrat das Apartment. Sofort schloß die Frau die Tür wieder und befestigte die Kette.
    Einen Moment lang sahen sie einander an. Dann wanderte Mollys Blick zum Bauch der Frau.
    Sie sah, wie Molly ihn anstarrte, und zuckte mit den Schultern.
    »Das ist kein Fett. Das ist ein Baby.«
    Molly nickte und legte die Hände auf ihren sanft gerundeten Bauch. »Ich habe auch eines.«
    »Zwanzig Jahre habe ich mich um alte Menschen gekümmert. Habe in New Jersey in Seniorenheimen gearbeitet. Ich weiß also, wie man sie bewahrt und schützt.« Die Frau zeigte auf ihren Lebenslauf und ihre Bewerbungsunterlagen, die vor Toby auf dem Küchentisch ausgebreitet lagen.
    »Ja, das sehe ich«, sagte Toby und überflog sie. Mrs. Ida Bogart.
    Aus den Blättern stieg ihr der Geruch von Zigarettenqualm entgegen. Die ganze Frau verströmte ihn. Er steckte in ihren schlabbrigen Kleidern. Der Gestank machte sich bereits in der Küche breit.
Warum befasse ich mich überhaupt mit dieser Kandidatin?
fragte Toby sich.
Ich will diese Frau nicht in meinem Haus haben. Sie soll meiner Mutter nicht nahe kommen.
    Sie legte die Blätter wieder auf den Tisch zurück und zwang sich zu einem Lächeln für Ida Bogart. »Ich lege Ihre Sachen zu meinen Unterlagen, bis ich mich entschieden habe.«
    »Sie brauchen sofort jemanden, nicht? So stand es in der Anzeige.«
    »Ich erwarte noch einige Bewerber.«
    »Darf ich Sie fragen, ob es viele sind?«
    »Einige.«
    »Nicht viele Menschen sind bereit, nachts zu arbeiten. Ich hatte damit nie Probleme.«
    Toby stand auf, ein deutliches Signal, daß das Vorstellungsgespräch beendet war. Sie begleitete die Frau zur Tür. »Ich ziehe Ihren Namen in Erwägung. Danke, daß Sie gekommen sind, Mrs. Bogart.« Sie schob die Frau praktisch hinaus und schloß die Tür hinter ihr. Dann lehnte sie sich mit dem Rücken dagegen, als wolle sie ihr Haus gegen weitere Mrs. Bogarts verbarrikadieren.
Noch sechs Tage,
dachte sie.
Wie soll ich jemanden in sechs Tagen finden?
In der Küche klingelte das Telefon.
    Ihre Schwester war am Apparat. »Wie kommst du denn mit den Vorstellungsgesprächen voran?« wollte Vickie wissen.
    »Überhaupt nicht.«
    »Ich dachte, es hätten sich einige auf die Anzeige gemeldet.«
    »Eine Kettenraucherin, zwei, die kaum ein Wort Englisch können, und eine, bei der ich gleich meine hochprozentigen Sachen weggeschlossen habe. Vickie, es geht so nicht. Ich kann Mom nicht mit Leuten wie diesen allein lassen. Du wirst sie nachts zu dir nehmen müssen, bis wir jemanden

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