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Roter Engel

Roter Engel

Titel: Roter Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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gefunden haben.«
    »Sie wandert nachts herum, Toby. Sie könnte den Herd aufdrehen, während wir schlafen. Ich muß an meine Kinder denken.«
    »Sie dreht nie den Herd auf. Und gewöhnlich schläft sie die Nacht durch.«
    »Was ist mit einer Agentur für Teilzeitkräfte?«
    »Das wäre nur eine Lösung für den Augenblick. Ich kann hier nicht dauernd neue Gesichter auftauchen lassen. Das würde Mom durcheinanderbringen.«
    »Zumindest wäre es erst mal eine Lösung. Es läuft darauf hinaus: entweder das oder ein Pflegeheim.«
    »Auf keinen Fall. Kein Pflegeheim.«
    Vickie seufzte. »Es war nur ein Vorschlag. Ich denke dabei auch an dich. Ich wünschte, ich könnte mehr tun …«
    Aber da gibt es nichts, dachte Toby. Vickie hatte bereits zwei Kinder, die sie voll mit Beschlag belegten. Ihrer Familie Ellen noch zusätzlich aufzudrängen, würde die schon überbeanspruchte Vickie noch mehr belasten. Toby trat ans Küchenfenster und sah hinaus in den Garten. Ihre Mutter stand am Geräteschuppen mit einer Harke in der Hand. Ellen schien sich nicht zu erinnern, was man mit einer Harke machte, und kratzte mit ihr über das Wegpflaster.
    »Mit wie vielen Bewerbern sprichst du noch?« fragte Vickie.
    »Mit zwei.«
    »Sehen die Unterlagen ordentlich aus?«
    »Gut. Aber auf dem Papier sehen sie
alle
gut aus. Erst wenn du ihnen gegenübersitzt, riechst du ihre Schnapsfahnen.«
    »Ach, so schlimm kann es doch nicht sein, Toby. Du siehst das Ganze zu negativ.«
    »Dann komm
du
und sprich mit ihnen. Der nächste muß jede Minute hier sein …« In dem Augenblick läutete es an der Tür.
    »Das muß er sein.«
    »Ich komme sofort.«
    Toby hängte ein und ging zur Haustür.
    Auf der Vorderveranda stand ein älterer Herr mit grauem, abgespanntem Gesicht und nach vorn hängenden Schultern. »Ich komme wegen des Jobs«, bekam er gerade noch heraus, bevor ihn ein Hustenanfall schüttelte.
    Toby bat ihn eilig herein und ließ ihn auf dem Sofa Platz nehmen. Sie brachte ihm ein Glas Wasser, während er trocken hustete, sich räusperte, erneut hustete. Nur eine bereits überstandene Erkältung, sagte er, von weiteren Stößen unterbrochen.
    Das Schlimmste sei überstanden, nur diese Bronchitis hänge ihm noch an. Seine Fähigkeit für den Job beeinträchtige das nicht, nein, keinesfalls. Er habe gearbeitet, da sei er noch viel kränker gewesen als jetzt, sein ganzes Leben habe er gearbeitet, seit seinem sechzehnten Lebensjahr.
    Toby hörte ihm zu, mehr aus Mitleid als aus Interesse, und schaute in den Lebenslauf. Wallace Dugan, einundsechzig Jahre alt. Sie wußte, daß sie ihn nicht anstellen würde, hatte es vom ersten Augenblick an gewußt, aber sie brachte es nicht übers Herz, ihn zu unterbrechen. Sie saß passiv und schweigend da und hörte ihm zu, wie er bis an diesen traurigen Punkt in seinem Leben gelangt sei. Wie dringend er den Job brauche. Wie hart es für einen Mann in seinem Alter sei.
    Er saß noch auf dem Sofa, als Vickie eintraf. Sie trat ins Wohnzimmer, sah den Mann und blieb stehen.
    »Das ist meine Schwester«, sagte Toby. »Und das ist Wallace Dugan. Er bewirbt sich um den Job.«
    Wallace stand auf und schüttelte Vickie die Hand, sank aber schnell wieder mit einem Hustenanfall auf das Sofa zurück.
    »Toby, kann ich dich eine Minute sprechen?« sagte Vickie, drehte sich um und ging in die Küche.
    Toby folgte und machte die Tür hinter sich zu.
    »Was ist los mit dem Mann?« flüsterte Vickie. »Er sieht aus, als hätte er Krebs. Oder Tb.«
    »Eine Bronchitis, sagt er.«
    »Du denkst doch nicht daran, ihn einzustellen, oder?«
    »Bis jetzt ist er der beste Bewerber.«
    »Du machst Witze. Bitte, sag mir, daß du Witze machst.«
    Toby seufzte. »Leider nein. Du hast die anderen nicht gesehen.«
    »Die sollen noch
schlimmer
gewesen sein als er?«
    »Zumindest scheint er ein netter Mensch zu sein.«
    »Ja, sicher. Und wenn er umkippt, macht Mom bei ihm Erste Hilfe.«
    »Vickie, ich habe nicht vor, ihn einzustellen.«
    »Warum schicken wir ihn dann nicht wieder weg, bevor er in deinem Wohnzimmer abkratzt?«
    Es läutete an der Tür.
    »Mein Gott«, sagte Toby und schoß aus der Küche. Sie warf Wallace Dugan im Vorbeigehen einen entschuldigenden Blick zu, aber der hielt den Kopf über ein Taschentuch gebeugt und hustete wieder. Sie öffnete die Haustür.
    Eine Frau, nein, eine Elfe, lächelte ihr entgegen, Mitte Dreißig, kurze Haare, im Princess-Di-Look. Bluse und Hose waren frisch gebügelt. »Dr. Harper? Es tut mir leid,

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