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Roter Engel

Roter Engel

Titel: Roter Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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und verließ den Raum.
    Zwanzig Minuten später klopfte Sheehan bei Dvorak an und trat mit einem schafsglücklichen Lächeln auf dem Gesicht ein.
    Das Gesicht eines Mannes, der sich albern benommen hatte, das genau wußte und auch, daß alle anderen es wußten, der sich aber überhaupt nicht darum scherte.
    Auch Dvorak beschloß, sich nicht weiter darum zu kümmern.
    Er ging an seinen Aktenschrank, zog einen Ordner heraus und gab ihn Sheehan. »Das ist der endgültige toxikologische Befund, den Sie haben wollten. Brauchen Sie sonst noch etwas?«
    »Äh, ja. Die vorläufige Todesursache bei diesem Baby.«
    »Stimmt mit der ersten Diagnose überein: plötzlicher Kindstod.«
    Sheehan zog eine Zigarette aus der Schachtel und zündete sie an. »Das hatte ich mir gedacht.«
    »Könnten Sie die wohl ausmachen?«
    »Bitte?«
    »In diesem Haus herrscht Rauchverbot.«
    »In Ihrem Büro auch?«
    »Der Geruch setzt sich überall fest.«
    Sheehan lachte. »Bei Ihrer Arbeit, Doc, können Sie sich über Gerüchte nicht gerade beklagen.« Er drückte die Zigarette in dem Aschenbecher aus, den Dvorak ihm hinschob. »Wissen Sie, diese Lisa ist ein nettes Mädchen.«
    Dvorak sagte nichts. Schweigen war jetzt bestimmt die sicherere Methode.
    »Hat sie einen Freund?« fragte Sheehan.
    »Das würde sie mir nicht sagen.«
    »Sie meinen, Sie haben sie nie gefragt?«
    »Nie.«
    »Nicht einmal aus Neugier?«
    »Ich bin auf vieles neugierig. Aber das gehört nicht dazu.«
    Dvorak machte eine Pause. »Übrigens, wie geht es Ihrer Frau und den Kindern?«
    Erneute Pause. »Gut.«
    »Läuft also alles gut daheim?«
    »Ja. Natürlich.«
    Dvorak nickte schwer mit dem Kopf. »Dann sind Sie ein glücklicher Mann.«
    Sheehan wurde rot und sah auf den toxikologischen Bericht hinunter. Cops sehen zu viele Tote, dachte Dvorak, und deswegen rennen sie herum und grapschen nach allem im Leben, was sie kriegen können. Und jetzt war eben Sheehan ins Schleudern geraten, eigentlich ein gewitzter Kerl und im Grunde anständig. Doch nun mußte er mit den ersten Vorboten des Älterwerdens klarkommen. Er brauchte ja nur in den Spiegel zu schauen.
    In dem Moment kam passenderweise Lisa ins Büro, zwei Tabletts mit Mikroskop-Objektträgern in den Händen. Sie schenkte Sheehan ein Lächeln und war sprachlos, als er einfach wegsah.
    »Was ist auf den Objektträgern?«
    »Oberes Tablett Leber- und Lungenschnitte von Joseph Odette. Unteres Tablett Gehirnschnitte von Parmenter.« Lisa warf Sheehan noch einen verstohlenen Blick zu, besann sich aber dann wieder ihrer Würde. In geschäftsmäßigem Ton fuhr sie fort: »Sie wollten ja nur PAS-, H- und E-Färbungen, nicht?«
    »Haben Sie kein Kongorot genommen?«
    »Doch, das ist auch drin. Nur für alle Fälle.« Sie drehte sich um und stolzierte davon.
    Wenige Augenblicke später machte sich auch Sheehan auf den Weg, ein vorläufig wieder geläuterter Romeo.
    Dvorak ging mit dem histologischen Untersuchungsmaterial ins Labor und legte die Schnitte unter das Mikroskop. Als erstes war Joey Odettes Lunge an der Reihe. Raucher, dachte er und sah sich prüfend die Lungenbläschen an. Kein Wunder, hatte er doch schon bei der Autopsie das ausgeprägte Lungenemphysem bemerkt. Er sah sich noch einige Lungenschnitte an und ging dann zur Leber über. Zirrhose und allgemeine Verfettung. Auch noch ein Trinker. Hätte sich Joey Odette nicht eine Kugel in den Kopf geschossen, dann hätten ihn am Ende seine Leber oder seine Lunge schon erledigt. Es gab schließlich viele Wege, sich selber umzubringen.
    Er diktierte seine Befunde, stellte dann die Odette-Schnitte zur Seite und zog das nächste Tablett ans Mikroskop.
    Der erste Schnitt von Angus Parmenters Gehirn erschien unter seinem Auge. Die mikroskopische Untersuchung von Gehirnschnitten gehörte bei einer Autopsie zur Routine. Dieser Schnitt zeigte eine Probe von der Großhirnrinde, durch das Schiff-Reagens zum Nachweis von Aldehyden violettrot gefärbt. Er stellte es so scharf ein wie möglich. Ganze Sekunden starrte er durch das Mikroskop und bemühte sich zu verstehen, was er da sah.
    Ein
Artefakt,
dachte er, eine künstlich hervorgerufene Veränderung. Da mußte das Problem liegen. Eine Distorsion des Gewebes, verursacht vom Fixierbad oder den Farbstoffen.
    Er zog den Objektträger heraus und schob einen anderen unter das Objekt. Wieder stellte er scharf ein.
    Wieder total zerstörtes Gewebe. Statt eines einheitlichen Feldes von neuronalem Gewebe, hier und da unterbrochen vom roten

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