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Roter Engel

Roter Engel

Titel: Roter Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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einen Laborbericht notiert hatte:
Dr. Stanley Mackie.
Der Zwischenfall am Nachmittag in der Klinik war noch nicht vergessen. Ihm gingen die anderen Namen durch den Kopf, die James Bigelow genannt hatte.
Angus Parmenter. Philipp Dorr.
Daß zwei der Männer jetzt tot waren, war von sich aus noch nichts Besonderes. Alle waren schon älter gewesen. Alle hatten statistisch gesehen bereits das Ende ihres Lebens erreicht.
    Aber das Alter an sich war noch keine Todesursache. Heute hatte er die Angst in James Bigelows Augen gesehen, wirkliche Angst, und das ungute Gefühl, das dies bei ihm hinterließ, war so leicht nicht abzuschütteln.
    Er nahm den Telefonhörer, rief Greta an und sagte ihr, er komme erst später, weil er noch im Wicklin Hospital vorbeimüsse. Dann nahm er seine Aktentasche und verließ sein Büro. Inzwischen waren die Gänge in der Klinik leer und nur noch an beiden Enden von einsamen Neonröhren beleuchtet. Als er unter einer hindurchging, hörte er ein leises Summen: Ein Insekt hatte sich in der Röhre verfangen. Seine Flügel flatterten gegen das milchige Glas. Er knipste das Licht am Wandschalter aus. Um ihn wurde es dunkel, doch das Summen über seinem Kopf hörte nicht auf und auch nicht das verzweifelte Flattern der Flügel. Er ging hinaus in eine feuchte, windige Nacht.
    Sein Toyota stand als letztes Fahrzeug einsam auf dem Klinikparkplatz. Seine gelbe Sicherheitsbeleuchtung ließ den Wagen eher schwarz als grün erscheinen – wie den glänzenden Panzer eines Käfers. Er blieb stehen, um die Wagenschlüssel aus der Hosentasche zu fischen. Dann sah er zu den beleuchteten Fenstern der Pflegestation hinauf, den bewegungslosen Silhouetten der Patienten in ihren Zimmern und dem Flackern der Fernsehschirme, auf die kaum jemand sah. Ihn überkam plötzlich ein tiefes Gefühl von Depression. Was er da oben hinter den Fenstern sah, war das Ende des Lebens. Ein Schattenriß seiner eigenen Zukunft.
    Er rutschte auf seinen Sitz und verließ den Parkplatz, konnte aber seine depressive Stimmung nicht zurück-lassen. Sie hing an ihm wie der kalte, feuchte Nebel auf seiner Haut.
Ich hätte Kinderarzt werden sollen,
dachte er. Babys. Den Anfang von Leben, das Heranwachsen, nicht den Verfall allen Fleisches begleiten. Aber während seines Studiums hatte man ihn wissen lassen, daß die Zukunft der Medizin in der Geriatrie liege – wenn die Babyboomer-Generation ergraue, en masse in die Senilität verfalle und dabei nach medizinischer Betreuung rufe. Neunzig Prozent der Aufwendungen für die Gesundheit eines Menschen flossen in die Erhaltung des letzten Lebensjahres. Dorthin flossen die Dollars, und dort könnten sich die Ärzte ihren Lebensunterhalt verdienen.
    Robbie Brace, ein praktisch denkender Mensch, hatte sich auf dieses praktische Feld geworfen.
    Doch wie ihn das deprimierte.
    Auf der Fahrt zum Wicklin Hospital stellte er sich vor, was aus seinem Leben geworden wäre, wenn er sich der Pädiatrie gewidmet hätte. Er dachte an seine Tochter und erinnerte sich, mit welcher Begeisterung er ihr verschrumpeltes Neugeborenengesicht betrachtet hatte, während sie im Kreißsaal ihr erstes großes Gebrüll angestimmt hatte. Er erinnerte sich, wie erschöpft er danach war, wenn er sie vormittags gleich zweimal hatte füttern müssen, roch das Talkumpuder wieder und die sauer gewordene Milch, sah die seidige Babyhaut in der warmen Badewanne. In so vieler Hinsicht waren die Kinder ganz wie die alten Leute. Man mußte sie füttern, baden und anziehen. Man mußte ihnen die Windeln wechseln. Sie konnten nicht laufen und nicht reden. Sie lebten nur von der Zuwendung der Menschen um sie herum.
    Um halb acht war er vor dem Wicklin, einem kleinen kommunalen Krankenhaus am Rande der Bostoner City. Er zog seinen weißen Arztkittel an, prüfte, ob sein Namensschild »Dr. Robert Brace« auch gut zu lesen war, und betrat das Gebäude.
    Vorrechte hatte er hier keine und auch keine Vollmachten, sich irgendwelche Patientenunterlagen aushändigen zu lassen. Er baute einfach darauf, daß ihm schon keiner mit lästigen Fragen in die Quere kam.
    In der Registratur füllte er ein Anforderungsformular für das Krankenhaus von Stanley Mackie aus und reichte es der Angestellten hinter dem Counter, einer kleinen Blondine. Sie warf einen Blick auf sein Namensschild und zögerte. Zweifellos fiel ihr auf, daß er nicht zum Ärztestab ihres Krankenhauses gehörte.
    »Ich komme von der Brant Hill Clinic«, sagte er. »Er war einer unserer

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