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Roter Engel

Roter Engel

Titel: Roter Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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mit tiefhängenden Decken. Die Wände waren weiß gestrichen und mit Postern von wunderbaren Reiselandschaften dekoriert. Nebel über der Serengeti. Ein Regenbogen, der sich über Kauai wölbte. Eine Mangroveninsel in türkisblauer See. Aus einem Radio klang Softrock. Die einsame Diensthabende, die er dort antraf, wirkte auf eine absurde Art fröhlich, gemessen an dem Job, den sie zu erledigen hatte.
    Sie selber entsprach jedenfalls durchaus dem Zimmer-schmuck an den Wänden: ein knallbunt bemaltes menschliches Wesen mit Rouge auf den Wangen und grün flimmernden Augenlidern.
    »Ich suche einen Autopsiebericht aus dem vergangenen März«, sagte Brace. »Er befindet sich nicht in der Patientenakte. In der Registratur sagte man mir, ich solle mich an Sie wenden.«
    »Der Name des Patienten?«
    »Stanley Mackie.«
    »Die Chirurgen kommen immer herunter und studieren unsere Berichte über ihre Patienten. Dr. Mackie haben wir sehr gut gekannt …« Sie zog eine Schublade heraus und fuhr mit dem Daumen über die Hängekarteien. »Zu Weihnachten hat er uns hier unten eine Kaffeemaschine geschenkt. Wir nennen sie die ›Mackie Memorial Mr. Coffee‹ …« Sie hob den Kopf und runzelte die Stirn über der offenen Lade. »Das frustriert mich jetzt aber.«
    »Was?«
    »Ich finde sie nicht.« Sie schob die Lade zu. »Ich bin sicher, daß an Dr. Mackie eine Autopsie vorgenommen wurde.«
    »Könnte der Bericht nicht unter einem falschen Buchstaben abgelegt sein? Unter ›S‹ für Stanley zum Beispiel?«
    Sie zog eine andere Schublade heraus, ging die Karteien durch, schob sie wieder zu. Als ein anderer Mitarbeiter das Labor betrat, wandte sie sich an ihn. »Hey, Tim, hast du den Autopsiebericht über Dr. Mackie gesehen?«
    »Ist das nicht schon eine Weile her?«
    »Anfang des Jahres.«
    »Dann sollte er aber noch in der Ablage sein.« Er stellte ein Tablett mit Objektträgern auf die Tischplatte. »Frag Herman.«
    »Wieso denke ich nicht selbst an Herman?« seufzte sie und ging aus dem Labor in ein Büro nebenan.
    Brace kam ihr nach. »Wer ist Herman?«
    »Herman ist kein
Wer,
sondern ein
Was.
« Sie schaltete das Licht ein. Sie standen vor einem Schreibtisch, auf dem ein PC thronte. »Das ist Herman. Er ist Dr. Seiberts Spielzeug.«
    »Was kann Herman denn?«
    »Er soll Zugriffe auf parallele Fälle möglich machen. Sie wollen zum Beispiel wissen, wie groß die Säuglingssterblichkeit bei rauchenden Müttern ist. Dann tippen Sie
Raucher
und
Säugling
ein, und schon haben Sie die Liste der betroffenen Babys, die hier auf dem Seziertisch lagen.«
    »Dann enthält er also alle Ihre Autopsiedaten?«
    »Erst einige. Dr. Seibert hat vor zwei Monaten angefangen, den Computer mit Daten zu füttern. Es wird noch lange dauern, bis er fertig ist.« Sie setzte sich ans Keyboard, tippte »Mackie, Stanley« ein und klickte auf »Suchen«.
    Auf dem Schirm erschien eine Datei. Es war Stanley Mackies Autopsiebericht.
    Die Assistentin rutschte vom Sitz. »Er gehört Ihnen.«
    Brace setzte sich an den Computer. Nach dem Datum auf der Datei war der Bericht vor sechs Wochen eingegeben worden.
    Die Akte selbst mußte in der Zeit danach verschwunden sein.
    Er drückte die
Page-down-
Taste und fing an zu lesen.
    Laut Beschreibung des äußeren Zustands post mortem hatte der Körper mehrere Stellen aufgewiesen, an denen intravenös Kanülen eingesetzt gewesen waren, außerdem Inzisionen in die rasierte Kopfschwarte durch das Skalpell des Neurologen.
    Weiter ging es mit der Beschreibung der inneren Organe. Die Lunge war gestaut und durch entzündliche Herde in geschwollenem Zustand gewesen. Das Herz hatte einen frischen Infarkt erlitten. Im Gehirn war es mehrfach zu Blutungen gekommen.
    Der allgemeine Befund entsprach der chirurgischen Diagnose: massives Hirntrauma und zweiseitige Pneumonie. Der frische Myokardinfarkt hatte wahrscheinlich endgültig zum Exitus geführt.
    Er klickte weiter zur mikroskopischen Auswertung. Sie lief auf die Ergebnisse des Protokolls über die Leber hinaus. Hinzu kamen noch Angaben, die dieser Unter-suchungsbericht nicht enthalten hatte – mikroskopische Befunde über Leber, Herz und Lunge. Nichts Außerge-wöhnliches, dachte er. Der Mann war mit dem Kopf auf das Pflaster geschlagen, hatte einen Schädelbruch erlitten, und das Hirntrauma hatte zu weiteren organischen Störungen geführt.
    Als nächstes klickte er den mikroskopischen Befund über das Gehirn an, und plötzlich blieb sein Blick an einem Satz im Zusammenhang mit

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