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Roter Engel

Roter Engel

Titel: Roter Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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sei sie überrascht, daß er sie angesprochen hatte. »Bitte?«
    »Phil Dorr. Er müßte eigentlich auch hiersein.«
    »Ich glaube, es geht ihm nicht gut.«
    »Was hat er denn?«
    »Ich weiß nicht. Den Theaterbesuch vorgestern abend hat er auch schon abgesagt. Er meinte, er habe etwas mit den Augen.«
    »Davon hat er mir nichts gesagt.«
    »Er hat es erst letzte Woche gemerkt und wollte damit zum Arzt gehen.« Sie tat einen tiefen Seufzer und sah nach vorn zum Sarg. »Schrecklich, nicht, wie alles dahingeht? Unsere Augen, unsere Hüftgelenke, unser Gehör. Heute habe ich gemerkt, daß meine Stimme sich verändert hat. Das war mir noch gar nicht aufgefallen. Ich habe mir das Videoband von unserer Fahrt in die Faneull Hall angesehen, und ich konnte gar nicht glauben, wie alt ich mich anhöre. Dabei
fühle
ich mich nicht alt, Jimmy. Im Spiegel erkenne ich mich gar nicht mehr …« Wieder ein Seufzer. Eine Träne rollte ihr die Wange herunter und zog eine Spur durch die trockene Puderschicht. Sie wischte sie weg und hinterließ eine kreidige Schmiere.
    Phil hatte etwas mit den Augen.
    Bigelow dachte darüber nach, während die Trauernden am Sarg vorbeizogen, dann vor und hinter ihm Platz nahmen und zu murmeln anfingen:
Erinnerst du dich, wie Angus … Kann gar nicht glauben, daß er fort ist … Es heißt, es war so etwas wie ein Schlaganfall … Nein, davon habe ich nichts gehört …
Bigelow stand mit einem Ruck auf.
    »Bleiben Sie nicht zur Trauerfeier?« fragte Anna.
    »Ich – ich muß mit jemandem reden«, sagte er und quetschte sich an ihr vorbei in den Gang. Er hatte den Eindruck, sie riefe ihm etwas nach, aber er sah nicht zurück und eilte zur Tür hinaus.
    Als erstes fuhr er zu dem Cottage, in dem Phil wohnte und das nur wenige Häuser von seinem entfernt lag. Die Tür war verschlossen, und niemand reagierte auf sein Läuten. Bigelow stand auf der Vorderveranda und spähte durch das Türfenster, aber außer dem Vorraum mit dem kleinem Kirschholztisch und dem Schirmständer aus Messing sah er nichts. Auf dem Boden lag ein einzelner Schuh – was ihm seltsam vorkam. Da stimmte etwas nicht. Es paßte auch gar nicht zu Phil.
    Er hatte etwas mit den Augen.
    Bigelow stieg wieder in seinen Wagen und fuhr die kurvige halbe Meile zur Brant-Hill-Klinik hinauf. Als er vor der Anmeldung stand, waren seine Handflächen feucht, und sein Puls ging schnell.
    Die Frau bemerkte ihn gar nicht – sie war zu sehr mit Telefonieren beschäftigt.
    Er klopfte ans Fenster. »Ich muß mit Dr. Wallenberg reden.«
    »Ich kümmere mich sofort um Sie«, antwortete sie.
    Er nahm frustriert zur Kenntnis, daß sie ihm wieder den Rücken zuwandte und etwas in ihr Keyboard tippte, während sie gleichzeitig etwas über Versicherungszuzah-lungen und Vollmachtserteilungen in den Hörer sprach.
    »Es ist wichtig!« sagte er. »Ich muß wissen, was mit Phil Dorr passiert ist.«
    »Sir, ich telefoniere gerade.«
    »Auch Phil ist jetzt krank, nicht? Er hat Probleme mit den Augen.«
    »Darüber müssen Sie mit seinem Arzt reden.«
    »Dann sorgen Sie dafür, daß ich Dr. Wallenberg sprechen kann.«
    »Er nimmt gerade seinen Lunch ein.«
    »Wann ist er denn wieder zurück?
Wann?
«
    »Sie sollten sich wirklich beruhigen, Sir …«
    Er streckte den Arm durch das Fenster und drückte den Unterbrecherknopf auf der Wähltastatur. »
Ich muß Dr. Wallenberg sprechen!
«
    Sie stieß ihren Stuhl vom Fenster zurück, bis sie außer Reichweite war. Plötzlich kamen zwei weitere Frauen aus dem Aktenraum nebenan. Alle starrten ihn an, diesen verrückten Alten, der sich vor ihnen wichtig machte.
    Eine Tür ging auf, und ein Arzt erschien. Ein großer schwarzer Mann, der sich über Bigelow beugte. Auf seinem Namensschild stand: Dr. Brace.
    »Worum geht es denn, Sir?«
    »Ich muß Wallenberg sprechen.«
    »Er ist im Augenblick außer Haus.«
    »Dann sagen
Sie
mir, was mit Phil passiert ist.«
    »Mit wem?«
    »Sie kennen ihn! Phil Dorr! Es heißt, er ist krank – irgendwas stimmt nicht mit seinen Augen. Ist er im Hospital?«
    »Nehmen Sie doch Platz, Sir, während die Damen dort in den Unterlagen nachsehen, was …«
    »Ich will mich nicht setzen! Ich will nur wissen, ob er das gleiche hat wie Angus. Und wie Stan Mackie.«
    Die Eingangstür ging auf, und eine Patientin kam herein. Sie zuckte zusammen, sah Bigelows rot angelaufenes Ge-sicht und spürte gleich, daß etwas nicht in Ordnung war.
    »Reden wir in meinem Büro weiter«, sagte Dr. Brace mit gedämpfter,

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