Roter Herbst - Kriminalroman
hatte während der Trauerfeier hinter ihr gestanden. Was für ein trauriger Mann, dachte sie und dann erinnerte sie sich, wie er gesagt hatte, dass er die Marlies gekannt hatte. Flüchtig nur, hatte er behauptet. Was er wohl damit gemeint hatte? Sie sollte sich auf jeden Fall mit ihm darüber unterhalten. Vielleicht wusste er mehr über die Marlies, als er bislang geäußert hatte. Außerdem, ob es ein Zufall war, dass gerade er den Toten im Moor entdeckt hatte? Auf jeden Fall ein gut aussehender Mann. Trotz der traurigen Augen. Sie könnte ihn zum Abendessen einladen, vielleicht würde sie ja sehen, ob er in irgendeiner Weise in den Fall verwickelt war. Ein Abendessen unter Kollegen. Gute Idee, sagte sie sich und legte den Telefonhörer weg.
Der Anruf aus den Staaten kam kurz vor 16.30 Uhr. Als das Telefon läutete, saß Amanda in Gedanken verloren an ihrem Schreibtisch und war damit beschäftigt, Büroklammern zu einer unendlichen Kette aneinanderzuhaken. Ihr gegenüber, im Besuchersessel, hatte sich Percy Johnson, wie immer rauchend, hingelümmelt. Hinter ihm, im Türrahmen, stand Wolf, der von Johnson eine Zigarette geschnorrt hatte und nun ebenfalls qualmte. Er erinnerte sie an die Halbwüchsigen aus ihrer Schulzeit, die hinter dem Schulhaus gestanden waren und mit hastigen Zügen geraucht hatten. Wolfs Hände zitterten, hatte sie gedacht, als sie ihm einen kurzen, missbilligenden Blick zugeworfen hatte. Ob er Parkinson hatte? Es waren düstere Gedanken, die ihr durch den Kopf gingen. Über Männer und ihre Respektlosigkeiten. Wahrscheinlich eine Folge ihrer lebenslang anhaltenden Pubertät, mutmaßte sie. Keiner der beiden rührte sich, als es läutete, doch beobachteten sie durch ihren Rauchschleier Amanda, die aus ihren trüben Gedanken hochschreckte und abhob.
Der Polizist, den sie in der Leitung hatte, stellte sich als Detective Lieutenant Max Breidenbend vor. Sein Akzent war ähnlich ausgeprägt wie der von Percy Johnson, und es dauerte eine Weile, bis Amanda auch nur ein Wort von dem verstand, was der Kollege von sich gab. Was für ein Kauderwelsch, dachte sie, und erst nach einigen Sätzen stellte sie verwundert, aber auch zu ihrer Freude fest, dass der Mann deutsch sprach. Seine Aussprache, tief aus dem Kehlkopf gepresst, klang in ihren Ohren schrecklich, doch erstaunlicherweise dauerte es nicht lange, bis sie sich an die ungewöhnliche Modulation gewöhnt hatte. Tief in ihrem Inneren leistete sie ihm Abbitte dafür, dass sie am Morgen so schlecht von ihm gedacht hatte.
»Wir haben euren Mann gecheckt«, drang es aus dem Hörer und ganz verwundert glaubte sie, die Melodie eines fernen Kontinents im Hintergrund zu vernehmen. »Aaron Rosenberg ist im Jahr 1967 verstorben. Es gibt eine file mit seinen Daten und eine social security number . Das ist alles okay. Und er ist definitiv tot.«
Amanda lauschte seinen Worten und dem nachfolgenden Rauschen, das durch den Äther brauste und das Gesagte wie in Watte packte. »Aber, wenn er gestorben ist, wer ist dann der Mann, der …?«
»Das wissen wir noch nicht genau, aber wir haben festgestellt, dass die ssn bereits 1971 wiederverwendet wurde. Das ist in der Tat eigenartig. Damals hat dieser Aaron Rosenberg einen Führerschein in Washington State beantragt. Es gibt dazu noch eine Reihe von weiteren Spuren.«
Wieder ließ Amanda Wouters eine Weile verstreichen, ehe sie auf die Äußerung des Kollegen einging. Sie musste sich zusammenreißen, um nicht zu brüllen. Das Gefühl räumlicher Ferne war plötzlich übermächtig.
»Und was ist mit dem Pass, den er zur Einreise verwendet hat? Ist der in Ordnung?«
»Das haben wir auch geprüft. Der Pass wurde vor etwa fünf Jahren beantragt und von einer US-Behörde ausgestellt.«
»Auf den Namen …?«
»Auf den Namen Aaron Rosenberg aus Tacoma. Alles ganz legal.«
»Es gibt also einen Mann, der die Identität eines Verstorbenen angenommen hat?«
»Richtig.«
»Wäre es möglich, dass es einfach nur zwei verschiedene Personen dieses Namens gibt?«
Die Verbindung wurde kurzzeitig schlechter und Amanda musste sich auf die Worte von jenseits des Atlantiks stark konzentrieren. Nur mit Mühe verstand sie, was Detective Lieutnant Max Breidenbend in den Hörer brummte.
»Das wäre schon möglich«, meinte der, »aber es ist nicht möglich, dass zweimal die gleiche social security number verwendet wird. Das ist unmöglich, absolutely impossible .«
»Aha, ich kann Ihnen folgen. Dann muss aber eine Fälschung
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