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Roter Herbst - Kriminalroman

Roter Herbst - Kriminalroman

Titel: Roter Herbst - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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ein Ast knackte und mit einem Mal glaubte, er einen kalten Hauch in seinem Nacken zu verspüren, so als hätte ihn jemand angepustet. Erstaunt wandte er sich um und meinte am Rande seines Gesichtsfelds eine Bewegung wahrzunehmen, doch er kam nicht mehr dazu, darüber nachzudenken. Der Mann, der hoch aufgerichtet hinter ihm stand, hielt ein Gewehr in den erhobenen Händen.
    »Verdammt, was tust du hier?«, schrie er ihn an. Doch ehe Rune antworten konnte, schlug ihm der Mann den Kolben des Gewehrs mit solch großer Brutalität ins Gesicht, dass dadurch Runes rechte Gesichtshälfte und sein Nasenbein zertrümmert wurden. Ein ekelhaftes Geräusch splitternder Knochen. Die Wucht des Schlages war enorm und Rune fiel augenblicklich in ein tiefes Dunkel, ohne dabei irgendwelche Schmerzen zu verspüren.
    Als er erwachte, war er von kalt flackerndem Licht umgeben. Es kam von einer Lampe, die unermesslich hoch über ihm hin und her schaukelte. Er lag da und hielt den Atem an. Die Schmerzen in seinem Gesicht waren kaum erträglich. Ein dumpfes Pochen und ein Hämmern, das ohne Anfang und Ende zu sein schien. Er versuchte, sich aufzurichten, konnte sich jedoch keinen Millimeter bewegen, und als er die Muskeln anspannte, wurden die Schmerzen so stark, dass er erneut in einen Zustand tiefer Bewusstlosigkeit fiel …
    Er hatte jegliches Gefühl für Zeit verloren und als er eine Ewigkeit später wieder an die Oberfläche der Schmerzen zurückkehrte, hatte sich nichts geändert. Nur hörte er die brüchige Stimme einer Frau, die in eigenartigem Singsang vor sich hin murmelte. Was sie sagte, klang wie ein Märchen …

    »Es war einmal ein arm Kind und hatt kein Vater und keine Mutter, war alles tot, und war niemand mehr auf der Welt. Alles tot, und es is hingangen und hat gesucht Tag und Nacht. Und weil auf der Erde niemand mehr war, wollts in Himmel gehen …«

13
    Die Männer, die im Weißen Roß am Stammtisch saßen, hatte Amanda während Marlies’ Beerdigung beobachtet. Alte, verwitterte Gestalten aus der Generation ihres Vaters. Sie saßen da, rauchten, und ab und zu hoben sie ihre Bierkrüge und tranken. Selten sprachen sie miteinander. Offensichtlich gab es niemanden im Lokal, der sich über das Rauchen der Männer beschwert hätte. Wie bei diesem alten Bundeskanzler, den sie hin und wieder im Fernsehen zeigten, ging es ihr durch den Kopf. Der konnte auch tun und lassen, was er wollte.
    »Was willst du denn schon wieder, Amanda?« Magnus Berger brachte ihr das Bier, das sie bestellt hatte und knallte es auf den Tisch.
    »Muss mit dir reden, Berger. Über die alten Zeiten … und über die Marlies.«
    »Lass mich in Ruhe damit. Irgendwann muss doch Schluss sein.«
    Amanda schüttelte den Kopf. Sie sah ihm nach, wie er zur Theke schlurfte. Sie wusste, dass er zu ihr kommen würde. Sie hatte Zeit. Es machte ihr nichts aus, zu warten. Dabei mochte sie die Musik nicht, die sie im Weißen Roß mit Hingabe spielten. Uralte Volksmusik, verstaubte Schlager aus den 60ern und 70ern und gelegentlich auch stramme Marschmusik. ›O du schöner Westerwald‹ und natürlich ›Alte Kameraden‹ und ›Schwarzbraun ist die Haselnuss‹. Weitere Lieder von Heino und Fred Bertelmann. Sie kannte diese Art von Musik. Schon ihr Vater hatte zu Hause solchen Klängen gelauscht und sie gespielt, damals auf einem einfachen Plattenspieler, der immer ein wenig geeiert hatte. Hauptsächlich war das in der Zeit gewesen, als er krank geworden war. Dabei hatte er nur drei oder vier Langspielplatten besessen, die er irgendwann zu Weihnachten oder zu einem seiner Geburtstage geschenkt bekommen hatte. Es waren im Grunde immer dieselben Lieder gewesen …
    Ihr Blick schweifte durch das verrauchte Gastzimmer. Nur einzelne Tische waren besetzt. Ein paar Leute aus der Stadt, die sie flüchtig kannte, und ein Tisch mit Jugendlichen, die in ein Würfelspiel vertieft waren. Als sie genauer hinsah, bemerkte sie unter ihnen wieder den Jungen, der in jener Nacht dem Förster geholfen hatte, die Moorleiche zu bergen. Wie es schien, gehörte er zu den Stammgästen des Lokals.
    Eine Viertelstunde später setzte sich Berger zu ihr an den Tisch. Er wirkte noch immer mürrisch und blickte sie unter seinen zusammengezogenen Brauen abweisend an. Aber er hatte ein frisches Bier mitgebracht, das er, ohne etwas zu sagen, vor sie auf den Tisch stellte.
    »Was willst du also?«, brummte er, nachdem er sich gesetzt hatte. Er bohrte mit dem kleinen Finger in seinem rechten Ohr,

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