Roter Herbst - Kriminalroman
an.
»So etwas sagt man nicht«, meinte die Kleine. »Mama ist in der Arbeit und mir war langweilig. Da bin ich hoch, weil ich die Frau Berger besuchen wollte …«
»Aber die Marlies … die Frau Berger ist doch tot. Weißt du das denn gar nicht?«
»Doch, das weiß ich schon. Aber ich habe nicht mehr daran gedacht… Das war blöd.«
»Kommst du öfters hierher?«
»Manchmal. Ich wollte nur das hier bringen«, fügte sie hinzu. »Bist du ein Freund von der Frau Berger?«
Otto nickte. »Was hast du denn da?«
»Eine S-Bahn. Die hat mir die Frau Berger zum Spielen gegeben. Aber jetzt brauche ich sie nicht mehr.«
Sie reichte ihm die alte Stadtbahn, die ziemlich ramponiert und verkratzt war. Otto nahm sie.
»Tschüss«, sagte das Mädchen und lachte. Mit einem Mal war es fröhlich. Es machte den Eindruck, als sei es erleichtert, dass ihr Otto das Spielzeug abgenommen hatte.
»Mach die Tür zu, wenn du gehst.«
Gleich darauf hörte er, wie die Tür ins Schloss fiel. Lange Zeit blickte er auf den kleinen Zug, eine täuschend echt wirkende Miniatur-S-Bahn aus grauer Vorzeit. Im Anzeigenfenster über dem Führerhaus war ein blass gewordenes ›H‹ zu erkennen. Der Rest der Schriftzeichen war unleserlich.
11
Den größten Teil des Vormittags verbrachte Amanda Wouters am Telefon in ihrem Büro.
Sie versuchte mehrmals, mit den Kollegen in Seattle Verbindung aufzunehmen, doch der zuständige Beamte war nach Hause gegangen und nur ein müder Cop der Nachtschicht hatte ihre Anrufe zunehmend mürrischer beantwortet. »You know what time it is?« Natürlich hatte sie gewusst, dass es in Seattle noch mitten in der Nacht war, doch zum Teufel, sie brauchte die Informationen. Wahrscheinlich lag der Detective, der ihre Anfrage bearbeitete, noch im Bett und schnarchte seinen Rausch vom Abend zuvor aus. Sie wusste, dass sie ungerecht war, als sie das dachte.
Nachdem sie das dritte Mal erfolglos angerufen hatte, beschloss sie, es erst wieder am Abend zu versuchen. Das Englischsprechen strengte sie ohnehin an, und sie war im Grunde froh, eine kleine Verschnaufpause zu haben. Nach jedem Anruf war ihr der Schweiß auf der Stirn gestanden und wenn sie dann aufgelegt hatte, hatte sie nach Luft gejapst.
Gegen zehn Uhr meldete sich Nowak aus München. Er hatte mit dem Notarzt gesprochen, der verständigt worden war, als man Marlies Berger gefunden hatte.
»Der Doc ist absolut sicher, dass die Berger an Herzversagen gestorben ist. Nur eins ist ihm aufgefallen …«
»Was denn?«
»Na ja, dass die Tote so ordentlich unter ihrer Decke gelegen hat. Das sei bei einem Infarkt eher ungewöhnlich, meint er. Es wäre auf jeden Fall normaler gewesen, wenn sie noch versucht hätte, die Decke wegzustrampeln, aber die lag ganz sauber auf der Leiche. Sie war um ihre Füße gewickelt, so als habe jemand sie nach dem Tod der Frau glatt gestrichen.«
»Meinst du, das hat was zu bedeuten?«
»Keine Ahnung«, brummte Nowak. »Möglich wär’s natürlich. Aber es gibt keine Anhaltspunkte dafür.«
»Wer hat die Marlies denn gefunden?«
Amanda hörte das Rascheln von Blättern und es dauerte eine Weile, bis sich Nowak wieder meldete.
»Ein Mädchen, das mit ihrer Familie im Stockwerk unterhalb wohnt. Die Kleine ist noch keine sechs Jahre alt. Warte mal, ihr genaues Alter ist hier angegeben …«
»Was sagst du? Weißt du, wie sie in die Wohnung gekommen ist?«
Es wurde wieder still.
»Nein«, sagte er. »Da steht nur, dass eine Frau Weber bei der Polizei angerufen hat, weil ihre Tochter die Leiche der Nachbarin entdeckt hat. Daraufhin wurde der Notarzt verständigt und eine Streife zur Wohnung der Webers geschickt.«
»Wir müssen jeden noch so kleinen Hinweis nachprüfen«, meinte Amanda.
»Das ist schon klar.«
Sie hörte Nowaks Atemzüge. »Also dann, bis bald«, sagte sie.
Nowak schnaubte lediglich in den Hörer. Dazu ließ er ein Brummen hören, das wohl Zustimmung ausdrücken sollte. Eine Sekunde später war er weg.
Amanda Wouters blieb mit Telefonhörer in der Hand stehen, dabei runzelte sie die Stirn. Ob sie etwas übersehen hatten? Sie dachte an die Beerdigung der Marlies und dass es sinnvoll gewesen wäre, ihre Leiche nicht so schnell freizugeben. Verdammt, ging es ihr durch den Kopf, sie konnten das Grab nicht öffnen lassen. Nach der kurzen Zeit … Was das für Marlies’ Eltern bedeuten würde …
Die Beerdigung der Marlies. Erstaunlicherweise fiel ihr in diesem Zusammenhang der Kollege aus Regensburg ein. Er
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