Roter Lampion
die den Hafen grau und schmutzig erscheinen ließ. Die ›Bayern‹, an deren Ladebäumen Seile wie Lianen herabhingen, hatte das Aussehen einer aus dem Wasser gezogenen Katze.
Was ein bißchen Sonne doch ausmacht, dachte Cooper, als er zum Portal des Hafens eilte, wo er in ein Taxi stieg, dessen Chauffeur er nach Nennung seines Zieles unter Zusicherung eines besonderen Trinkgeldes aufforderte, so schnell wie möglich zu fahren. Der Italiener tat, was er konnte, der Verkehr aber verlief so schleppend, daß sie kaum vorwärts kamen. Erst kurz vor elf Uhr ereichte Cooper den Vertrauensmann, den er sprechen wollte.
»Haben Sie die Fotokopien erhalten?« fragte er ihn hastig.
»Vor einer knappen Stunde. Hier sind sie.«
Gordon Cooper glaubte nicht richtig zu sehen. Seite für Seite bewies der Paß des Chinesen, daß er nicht erst vor wenigen Tagen von Hongkong nach London geflogen war, sondern in den letzten Wochen Japan, Süd- und Nordamerika sowie Europa bereist hatte. Und als ständiger Wohnsitz war Singapore angegeben.
Sollte hier eine Verwechslung vorliegen, fragte Cooper sich verwirrt. So unwahrscheinlich ihm dies erschien, er ersuchte seinen Gesprächspartner, die Unterlagen unverzüglich nach London zu senden und den Secret Service zu bitten, die ihm nach Genua übermittelten Angaben einer nochmaligen Überprüfung zu unterziehen.
»Da stimmt etwas nicht«, fügte er hinzu. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Zentrale einen solchen Fehler macht. Aber wie dem auch sei: Ich erbitte telegraphische Verständigung via Rotterdam. ›Es geht mir wieder besser‹, soll man mir durchgeben, wenn die Londoner Angaben stimmen. ›Dank für deinen langen Brief‹, wenn sich ein Fehler eingeschlichen hatte. Ist das klar?«
»Sonnenklar«, antwortete der V-Mann und machte sich entsprechende Notizen.
»Well, dann will ich mich beeilen. Die ›Bayern‹ läuft schon um zwölf Uhr aus.«
Wenige Minuten später saß Cooper wieder in seinem Taxi und forderte den Fahrer auf, mit Volldampf zum Hafen zurückzufahren. Mitten in der Stadt befahl er dann aber plötzlich anzuhalten, sprang aus dem Wagen und lief in ein Geschäft, in dem er, ohne lange auszusuchen, eine Badehose erstand.
Nur keinen Fehler machen, sagte er sich, und es dauerte nicht lange, bis sich die Klugheit seines Handelns erwies. Denn als er das Schiff erreichte, fehlten nur noch zehn Minuten bis zum Hochziehen der Gangway, und unter den Passagieren, die wie üblich an der Reling standen, um das Ablegen zu beobachten, befanden sich auch Margit Holstein und Ivo Sorokin.
»Wo haben Sie bloß gesteckt?« rief sie ihm zu.
Er winkte mit seinem Päckchen. »In der Stadt. Ich stellte fest, daß ich meine Badehose vergessen habe.«
5
Wie in Rotterdam und Southampton, so ertönte auch in Genua das Lied: Muß i denn, muß ich denn zum Städtele hinaus… als die ›Bayern‹ von kräftigen Bugsierschiffen aus dem Hafenbecken herausgezogen wurde. Und erneut summte Gordon Cooper die Melodie.
Margit Holstein sah ihn verwundert an. »Sie sprechen Deutsch?«
»Nein«, log er ohne zu zögern, da er hinsichtlich seiner Sprachkenntnisse nicht mehr die Wahrheit sagen konnte, nachdem er Ivo Sorokin in groben Zügen den Ablauf seines Lebens geschildert und seine Tätigkeit in Deutschland, die militärischer Natur gewesen war, nicht erwähnt hatte. »Ich kenne lediglich dieses Lied«, fügte er erklärend hinzu. »Meine Schwester war mit einer Deutschen befreundet, die das Lied des öfteren sang. Ich glaube, wenn sie Heimweh hatte.«
Margit Holstein sah, daß sich die Narbe auf seiner Wange verfärbte, und im gleichen Augenblick kombinierte sie: Ihm wird heiß, weil er nicht die Wahrheit sagt. Warum leugnet er, die deutsche Sprache zu verstehen? Sie war sich ihrer Sache so sicher, daß sie ihn offen fragen wollte, unterließ es dann aber, weil ihr der Gedanke kam, daß er vielleicht nur wenig Deutsch spreche und lieber flunkere, als radebrechen zu müssen.
Cooper empfand es indessen als belastend, bei jedem Satz überlegen zu müssen, ob er die Wahrheit sagen durfte oder an einer Lüge weiterweben mußte, die er aus taktischen Gründen in die Welt gesetzt hatte. Er wußte, daß selbst hervorragende Agenten an dieser Klippe gescheitert waren. Sein unbeschwertes und glückliches Naturell half ihm jedoch, über diese Belastung hinwegzukommen.
Mit etwas anderem aber wurde er nicht so leicht fertig: mit der Tatsache, daß Patrice MacDonald alias Patrice
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