Roter Lampion
»Bayern« war bekannt. Er geht in Genua von Bord; deshalb unser Anruf .‹
Cooper würde sich keine Minute mehr mit dem Franzosen beschäftigt haben, wenn er nicht eine halbe Stunde später zufällig gesehen hätte, daß Lefevre beim Verlassen des Schiffes einen heimlichen Gruß zu dem schmächtigen Chinesen hinüberschickte, der sich mit steifem Oberkörper vor ihm verneigte.
Für Cooper stand es plötzlich fest, daß sich an Bord etwas Außergewöhnliches abgespielt hatte. Es gab zwar keinerlei konkrete Hinweise dafür, aber wie vage sein Verdacht auch sein mochte, er mußte London informieren. Zumal der Chinese ihn belogen hatte, wie aus einem weiteren Passus des in Rotterdam aufgegebenen Schreibens hervorging. Es hieß da:
›Wir haben uns mit Lim Swee Long befaßt, weil wir feststellten, daß er erst fünf Tage vor Auslaufen des Schiffes von Hongkong nach London flog. Das erschien uns merkwürdig. Eine Rückfrage bei der Reederei ergab, daß die Kabine für ihn vor zwei Monaten in Hongkong gebucht wurde, und zwar einen Tag nach der Notierung für Ivo Sorokin. Zufall? Nicht wahrscheinlich. Eine in der Kronkolonie eingezogene Erkundigung ergab, daß gegen Lim nichts vorliegt. Er ist Flüchtling aus der Volksrepublik. Vor vier Jahren ließ er sich in Hongkong registrieren.‹
Den werde ich mir unter die Lupe nehmen, schwor sich Gordon Cooper. Seine Behauptung, in Singapore zu wohnen und seit fünf Wochen unterwegs zu sein, wird ihm schlecht bekommen.
Der Brief des Secret Service enthielt aber noch eine dritte Mitteilung. Sie lautete:
›Es wird für Sie interessant sein zu wissen, daß Patrice MacDonald die Witwe des Generals Richard MacDonald ist, der Gouverneur von Indien war. Unter ihrem Mädchennamen, Patrice Lawrence, wurde sie 1951 allgemein bekannt, als sie ihren Geliebten, den Chinesen Lee Kon-kim, der sich im Zweiten Weltkrieg in Malaya als Freiheitskämpfer hervorgetan hatte, unseren Truppen dann aber als Rebell und Partisan unüberwindbare Schwierigkeiten bereitete, für ein Kopfgeld von 100000 Singapore Dollar dem Secret Service verriet.‹
Gordon Cooper war wie benommen. Patrice MacDonald hatte einen Menschen, schlimmer noch: ihren Geliebten für ein Kopfgeld verraten? Er konnte es nicht glauben. Wie in Trance las er die Mitteilung ein zweites und ein drittes Mal. Es wollte ihm nicht in den Kopf, daß die attraktive und in gewisser Hinsicht sogar faszinierende Patrice MacDonald einen Mann für Geld ans Messer geliefert haben sollte.
Da müssen Dinge vorliegen, die uns unbekannt sind, sagte er sich, als er das Schreiben in kleine Fetzen riß und in der Toilette verschwinden ließ.
Wenige Minuten später, er knüpfte gerade seinen Binder, klopfte es an seiner Tür.
»Come in!« rief er in der Annahme, es sei der Kabinensteward. Zu seiner Verwunderung erschien Margit Holstein im Türrahmen.
»Ich habe ein Attentat auf Sie vor«, sagte sie, ohne in den Raum einzutreten. »Hätten Sie Lust, mich in die Stadt zu begleiten?«
»Aber gerne«, antwortete Cooper, obwohl ihn ihre Bitte in arge Verlegenheit brachte. Er mußte unbedingt das britische Konsulat aufsuchen. »Ich wollte ohnehin gerade zu einem Bummel durch Genua starten.«
»Ohne mich mitzunehmen?« fragte sie vorwurfsvoll.
Er grinste sie frech an. »Wenn ich jetzt erkläre, vorgehabt zu haben, Sie einzuladen, würden Sie denken, ich belüge Sie. Ich lasse Ihre Frage deshalb unbeantwortet und preise mich glücklich, Sie zu sehen.«
Unversehens gerieten beide in eine gelöste Stimmung, die sich noch steigerte, als sie das Hafentor passierten. Die steil aus dem Meer herauswachsende Stadt, deren Häuser und Paläste, Gassen und Straßen unter dem durchsichtigen Blau des italienischen Himmels wie Teile einer riesigen Theaterkulisse anmuten, begeisterte sie. Ohne ihr Dazutun wurden sie zu Statisten eines Schauspiels, das pausenlos abrollt und keine Zuschauer kennt. Sie genossen Genua und das Wissen, unbeobachtet zu sein, eine Situation, die es auf dem Schiff praktisch nicht gab.
Die Schaufenster in den Arkaden der Via XX Settembre blieben auf Margit Holstein natürlich nicht ohne Anziehungskraft, und Gordon Cooper tat insgeheim einen tiefen Seufzer, als sie den Wunsch äußerte, eines der Geschäfte aufzusuchen, um angesichts der vielen Festivitäten auf dem Schiff noch ein Cocktailkleid zu erstehen.
»Dann treffen wir uns am besten in einer Stunde in der Bar des Hotels Bristol«, schlug Cooper vor. »Es liegt gleich drüben auf der
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