Roter Lampion
Die ›Bayern‹ war auf Reede vor Anker gegangen und hatte eben zwei Ruderboote mit je vier Ägyptern übernommen, die sich bestimmungsgemäß während der Fahrt durch den Suezkanal an Bord eines jeden Schiffes befinden müssen, als die Gangway für die in Motorbarkassen heranrückenden Beamten der Hafenbehörde und Kanalverwaltung herabgelassen wurde. Und dann geschah das, was Cooper in helle Aufregung versetzte. Unmittelbar nach dem Eintreffen eines schnellen und blitzsauberen Bootes erschien Ivo Sorokin auf der Gangway und ging von Bord des Schiffes, als warte ein großer Empfang auf ihn.
Cooper, der gelangweilt an der Reling gestanden hatte, verschlug es fast den Atem, als er erkannte, was sich vor seinen Augen abspielte. Sekundenlang war er wie gelähmt, dann aber lief er zum Foyer hinunter, in dem sich der Zahlmeister gerade mit dem Chiefsteward stritt.
»Sie hatten kein Recht, seinen Paß herauszugeben«, erregte sich der Purser. »Die Verwaltung der Pässe obliegt mir und nicht Ihnen.«
»Das weiß ich selber«, entgegnete der ›Chief‹ verbissen. »Aber was sollte ich…« Er unterbrach sich, da er Cooper kommen sah. »Kann ich etwas für Sie tun, Sir?«
»Ja, das können Sie«, antwortete Cooper und bemühte sich, seine Erregung zu verbergen. »Uns Passagieren wurde gestern erklärt, daß die auf dieser Route üblichen Tagesausflüge nach Kairo und Suez diesmal nicht genehmigt worden seien.«
»That’s right, Sir. Sie wurden ohne Bekanntgabe von Gründen untersagt.«
»Well, dann verstehe ich nicht, wieso Mister Sorokin von Bord gehen darf. Nicht, daß ich ihm den Spaß mißgönne. Ich möchte nur ebenfalls einen Abstecher nach Kairo machen.«
Auf der Nase des Chiefstewards perlten Schweißtropfen. »Ich bedaure, Ihnen sagen zu müssen, daß das nicht geht, Sir. Bei Mister Sorokin liegen die Dinge anders. Er verfügt über eine Sondergenehmigung der ägyptischen Regierung, die eine Staatsbarkasse zu seiner Abholung schickte.«
»Ach, so ist das«, entgegnete Cooper, sich enttäuscht stellend. »Ich glaubte, er macht den Tagesausflug, von dem Sie sprachen.«
»Nein, nein«, erwiderte der ›Chief‹ und schüttelte den Kopf. »Mister Sorokin fährt ganz privat nach Kairo.«
»Und wann kommt er zurück?«
»Morgen abend. Wir übernehmen ihn in Suez.«
Ich könnte mir die Haare raufen, dachte Cooper, als er wieder nach oben ging. Aber ich habe Harrison ja gleich gesagt, daß Männer wie Sorokin nicht zur Erholung mit dem Schiff reisen. Jetzt ist alles klar. Ihm kam es darauf an, unauffällig nach Ägypten zu kommen. Wäre ich nicht zufällig an Bord, würde sein Abstecher unbekannt bleiben.
Der Nachrichtenoffizier des Schiffes trat an Cooper heran und riß ihn aus seinen Gedanken. »Dies Telegramm ist eben für Sie eingegangen.«
Cooper öffnete es und las: ›Es geht mir wieder besser. Lincoln war in Macao. Herzliche Grüße. Alice.‹
Unwillkürlich spitzte er die Lippen. Der Chinese war überführt! ›Es geht mir wieder besser‹ besagte vereinbarungsgemäß, daß die vom Secret Service übermittelten Angaben stimmten. Mister Lim war also nicht, wie er behauptete und wie aus seinem Paß hervorging, um die Erde gereist, sondern erst fünf Tage vor Auslaufen der ›Bayern‹ von Hongkong nach London geflogen. Demnach mußte er über zwei Pässe verfügen, und die im Telegramm zusätzlich gegebene Nachricht: ›Lincoln war in Macao‹, wies deutlich darauf hin. Denn ›Lincoln‹ konnte nur ein willkürlich gewähltes Synonym für ›Lim‹ sein, und die Erwähnung der Stadt Macao sollte ihn an die in Kreisen der internationalen Polizei allgemein bekannte Tatsache erinnern, daß man unweit von Hongkong auf portugiesischem Territorium ohne Schwierigkeiten jedes nur denkbare Dokument in unanfechtbarer Qualität erhalten kann.
Cooper genoß das Wissen, den Chinesen entlarvt zu haben. Wenn es auch unwahrscheinlich war, daß er jemals etwas gegen ihn unternehmen würde – er hätte sich dann ja decouvrieren müssen –, so erfüllte es ihn doch mit Genugtuung, daß ihn sein Instinkt nicht im Stich gelassen hatte. Mehr denn je stand es für ihn fest, daß Lim und Lefevre in irgendeiner Weise Verbündete gewesen waren. Wahrscheinlich gab es auch eine Verbindung zwischen Lefevre und Sorokin, keinesfalls aber eine solche zwischen diesem und dem Chinesen. Zu offensichtlich war es, daß die beiden sich nicht leiden konnten.
Während Cooper über Lefevre, Lim und Sorokin nachgrübelte, spürte er,
Weitere Kostenlose Bücher