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Roter Lampion

Roter Lampion

Titel: Roter Lampion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. C. Bergius
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Lawrence für Geld ihren Geliebten verraten haben sollte. Wo immer er sie in den nächsten Tagen sah, er beobachtete jede ihrer Bewegungen und Gesten und kam zu der Überzeugung, daß die Triebkraft ihrer Handlungsweise eine andere gewesen sein müsse, als es den Anschein haben mochte. Sie war zweifellos eine selbstbewußte, ehrgeizige und egozentrische Frau, schien ihm aber nicht die Kälte zu besitzen, um des eigenen Vorteiles willen einen Menschen über die Klinge springen zu lassen. Oder hatten die Folgen ihrer Tat sie verändert? Er konnte es nicht beurteilen und unterhielt sich wie zuvor mit ihr, wenn er die Bar aufsuchte, in der sie beinahe die ganze Fahrt verbrachte.
    Im übrigen verliefen die Dinge an Bord des Schiffes so, wie Cooper es sich erhofft hatte. Unter dem nunmehr von Sonnensegeln geschützten Lidodeck wuchsen die Passagiere zu einer großen Familie zusammen. Alle kamen glänzend miteinander aus, und selbst Ivo Sorokin taute sichtlich auf. Er zog sich nicht mehr wie eine Schnecke zurück, wenn ihn jemand ansprach, und er ging nun auch des öfteren in die Bar, wo er sich einige Male sogar mit Patrice MacDonald unterhielt. Den Chinesen Lim jedoch, der sich allgemeiner Beliebtheit erfreute, schien er nicht zu mögen. Offensichtlich störte ihn das dauernde Lachen dieses Menschen.
    Am wohlsten fühlte sich Sorokin, wenn er sich mit Margit Holstein unterhalten konnte, wenngleich deren Welt so fern von der seinen war, daß er bei ihren Schilderungen manchmal glaubte, Geschichten von einem anderen Stern zu hören. Für ihn bedeuteten Kriege und Revolutionen nichts anderes als Waffen und Business, für sie hingegen die Entfesselung des Primitiven. Erschreckend und ernüchternd nannte sie die Tatsache, daß das Angeborene im Menschen mächtiger ist als das Erlernte und daß aus diesem Grunde die Berührung mit dem Primitiven selbst im zivilisierten Menschen das Primitive neu weckt und Instinkte aus einem atavistischen Zustand entfesselt.
    Ivo Sorokin zog Parallelen zwischen Margit Holstein und seiner Mutter, deren Charme und Intelligenz ihn fasziniert und beglückt hatten, bis ein britischer Gesandter ihm raubte, was er nach dem Tode seines Vaters als seinen unteilbaren Besitz angesehen hatte. Ernüchterung breitete sich aus, wo beseligende Träume gewesen waren. Wärme schlug in Kälte um und erweckte in Sorokin den Ehrgeiz, wenigstens das reale Leben zu beherrschen, wenn er das andere schon nicht halten konnte. Nüchterne Kalkulationen leiteten seither seine Überlegungen und sein Dasein, das nur einmal noch von einer Frau erhellt worden war, von einer jungen Wienerin, deren Schönheit ihn so fesselte, daß er nichts anderes mehr zu sehen vermochte. Bis er erkannte, daß ihr Leben in erster Linie aus Gesellschaftstratsch und nicht enden wollenden Sitzungen bei Schneiderinnen und Friseuren bestand. Seitdem lebte er ausschließlich für seine Geschäfte, die er so atemberaubend gestaltete, daß ein Kriminalroman dagegen langweilig erschien. Seine Traumwelt, in der sich Charme und Intelligenz in einer Frau vereinigten, war dahin.
    Und nun kreuzte ein Mensch seinen Weg, der seiner Mutter sehr ähnlich war. Nicht im Aussehen. Da war seine Mutter schöner gewesen. Auch nicht im Geist. In dieser Hinsicht schien ihm Margit Holstein noch nicht genügend gelöst zu sein. Aber sie vereinte all jene Elemente in sich, die er bei seiner Mutter angebetet hatte.
    Ivo Sorokin zwang sich, Gedanken und Vorstellungen zu verscheuchen, die sich ihm aufdrängten. Er war an die zwanzig Jahre älter als Margit Holstein, und es war offensichtlich, daß sie Gefallen an Gordon Cooper fand.
    Dieser hielt sich allerdings mit einem Male sehr zurück. Es bedrückte ihn, daß aller Wahrscheinlichkeit nach auf der Fahrt von Southampton nach Genua Dinge geschehen waren, die er nicht bemerkt hatte, und aus der Sorge heraus, ihm könnte erneut etwas entgehen, wenn er sich ablenken ließe, verzichtete er darauf, sich heimliche Wünsche zu erfüllen. Mit dem Erfolg, daß er Margit Holstein noch besser gefiel.
    Im übrigen verlief die Fahrt nach Port Said, die an Stromboli vorbei und durch die Straße von Messina führte, sehr geruhsam. Man las oder spielte das auf allen Schiffen beliebte ›Shuffleboard‹, und niemand machte sich ernstliche Sorge wegen der Nachrichten, die von der Möglichkeit eines offenen Krieges zwischen Israel und Ägypten berichteten.
    Vor Port Said aber war Gordon Cooper plötzlich nahe daran, die Nerven zu verlieren.

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