Roter Lampion
Cooper, nachdem er seine Landsmännin begrüßt hatte.
»Hah, very well«, antwortete der Chinese lachend und beschrieb mit seinen feingliedrigen Händen zwei gegenläufige Kreise durch die Luft. »No problem! Schönes Wetter, gutes Essen und – hübsche Frauen!« fügte er nach einer kurzen Pause mit wieherndem Gelächter hinzu.
»Ja, das alles kann nur eine Schiffsreise bieten«, entgegnete Cooper und bestellte sich ein Bier. »Wohin fahren Sie?«
»Hah, nach Singapore. Dort bin ich zu Hause.«
»Waren Sie länger unterwegs?«
»Hah, wie man es nimmt«, antwortete Lim und spreizte die Finger seiner linken Hand so sehr, daß sie sich nach hinten bogen. Dann drückte er den kleinen Finger nach innen und sagte: »Eine Woche war ich in Japan.« Es folgte der Ringfinger. »Die zweite Woche in Südamerika.« Der Mittelfinger kam an die Reihe. »In der dritten reiste ich durch die Vereinigten Staaten.« Er legte den Zeigefinger gegen die Handfläche. »Und in der vierten Woche besuchte ich Europa.«
»Und was sagt Ihre Frau dazu?« fragte Patrice MacDonald.
Der Chinese lachte schallend. »Hah, no problem! Ich bin nicht verheiratet und werde nicht heiraten. Wozu? Für mich gibt es keine Probleme mehr.« Erneut spreizte er die Finger und zählte auf: »Mutter gestorben. Vater gestorben. Bruder gestorben. Erste verheiratete Schwester gestorben. Zweite unverheiratete Schwester gestorben. Schwager gestorben. Now I have no problem! Würde ich heiraten, gäbe es wieder Probleme.«
»Was Sie da sagen, entspricht aber nicht der chinesischen Art zu denken«, warf Margit Holstein ein, die während der letzten Sätze hinzugekommen war. »Stärker als jedes andere Volk hat ihre Nation die ursprünglich an das Blut gebundene Gruppenhaftigkeit bewahrt. Wenn diese Grundlage in Ihrer Heimat verlorengeht, wird Furchtbares passieren.«
O je, dachte Gordon Cooper. Jetzt steht sie auf dem Katheder.
Im Gesicht des Chinesen spielte ein feines Lächeln. »Die schöne Blume der Romantik blüht nur noch an verborgenen Orten, mein verehrtes Fräulein. Was heute kultiviert wird, ist der Kampf Mensch gegen Mensch. Für den Kommunismus – gegen den Kommunismus. Unsere Jugend interessiert sich nicht mehr für Pagoden und Tempel. Transistorradios und Düsenflugzeuge sind ihr wichtiger.«
»Ein anderes Thema!« bat Cooper, um einer unerfreulichen Debatte zuvorzukommen. Dann wandte er sich an Margit Holstein. »Was darf ich für Sie bestellen?«
»Einen Campari-Soda«, antwortete sie und fügte gedämpft hinzu: »Mit Ihnen werde ich über das Thema aber noch sprechen.«
»Ja, natürlich«, erwiderte er und legte seinen Arm um sie. »Wir müssen es schon tun, um vor Gefahren geschützt zu sein, die über uns kommen, wenn der Mond hoch am Himmel steht und den Versuch macht, verliebten Menschen die Sinne zu rauben.«
Ihre Augen weiteten sich. »Von der Seite kenne ich Sie ja gar nicht.«
Ihm lag es auf der Zunge zu erwidern: noch nicht! Er beherrschte sich jedoch und prostete ihr zu: »Your health!«
Unmittelbar nach dem Lunch suchte Gordon Cooper das Office des Chiefstewards auf, der sich, wie er wußte, noch im Speisesaal befand. Er hatte bei früherer Gelegenheit gesehen, daß in dessen Büro ein mit den Namen der Passagiere versehener Lageplan hing, auf dem er, indem er einen wartenden Eindruck erweckte, feststellen wollte, welche Kabine Charles Lefevre bewohnte. Es dauerte nicht lange, bis er den Namen fand, und im selben Moment wußte er, daß der Franzose andere Interessen hatte, als sich des Nachts mit Ivo Sorokin zu besprechen. Denn Lefevre besaß die unmittelbar am Vorraum gelegene Kabine 32, die über zwei Betten verfügte, und Cooper hatte ihn schon mehrfach aus ihr herauskommen beziehungsweise in sie hineingehen sehen. Und zwar in Begleitung einer hübschen und so jungen Blondine, daß einige Engländerinnen bereits von einem Skandal gesprochen hatten.
Seine Tür brauche ich mit keinem Faden zu versehen, dachte Cooper erleichtert, und er fand sich bestätigt, als er am nächsten Tag in Genua einen Luftpostbrief erhielt, in dem es unter anderem hieß:
›Über Lefevres Anwesenheit an Bord der »Bayern« informierten wir Sie, um uns keine Vorwürfe machen zu müssen, wenn sich jemals herausstellen sollte, daß Sorokin Verbindungen zur DST unterhält, was wir jedoch für ausgeschlossen halten. Im übrigen ergab eine Rückfrage in der Rue des Saussaies, daß Lefevre sich zur Zeit im Urlaub befindet. Sein Aufenthalt auf der
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