Roter Lampion
der zumeist nur von der Besatzung benutzten steilen Treppe reichlich schmutzig geworden waren. Das Tuch entglitt ihm jedoch, und er bückte sich, um es wieder aufzunehmen. Im selben Augenblick hörte er jemanden »Vorsicht!« schreien, und dann prallte ein schwerer Gegenstand auf seinen Rücken und schleuderte ihn zu Boden.
Margit Holstein schrie auf, und mit ihr alle Passagiere, die gerade zur Ladeluke hinunterblickten.
Cooper, der mit Entsetzen sah, daß ein schwerer Flaschenzug auf Sorokin herabfiel, war sekundenlang wie gelähmt. Dann aber rannte er zur Treppe, die er förmlich hinabsprang.
Margit Holstein folgte ihm.
Die Passagiere schrien durcheinander und riefen nach dem Schiffsarzt.
Matrosen beugten sich über Sorokin, der mit um die Knie gelegten Händen und geschlossenen Augen zusammengekrümmt auf der Seite lag.
»Nicht anrühren!« schrie Cooper, als er sah, daß ein Besatzungsmitglied versuchen wollte, den Verunglückten aufzuheben. Im nächsten Moment kniete er neben Sorokin und fragte ihn: »Wo haben Sie Schmerzen?«
Sorokins Brust entrang sich ein dumpfes Stöhnen. Er hielt den Kopf wie jemand, der einen steifen Nacken hat. Offensichtlich wagte er kaum zu atmen.
Cooper schwante Böses. »Schnell, holt den Arzt«, sagte er an die Matrosen gewandt. »Er soll gleich Morphium mitbringen. Und besorgt eine Tragbahre.«
Margit Holstein beugte sich über Sorokin und legte ihm die Hand auf den Kopf.
Cooper flüsterte ihr zu: »Hole einen Schirm, damit wir ihn vor der Sonne schützen können. Ich vermute, daß er bis zum Abtransport hier liegenbleiben muß.«
Ihre Augen weiteten sich. »Du meinst, er ist schwer verletzt?«
»Hol den Schirm!« zischte Cooper. »Dort kommt übrigens schon der Arzt. Gut, daß Sie da sind«, fuhr er übergangslos an den Mediziner gewandt fort. »Ein Flaschenzug ist auf ihn gefallen.«
Der Schiffsarzt, ein pensionierter Medizinalrat, nickte vor sich hin. »Ich habe es zufällig vom Bootsdeck aus gesehen.« Damit neigte er sich über den Verunglückten und fragte ihn: »Glauben Sie, sich bewegen zu können?«
Über Sorokins Lippen drang nur ein schweres, wie aus der Brust kommendes Stöhnen. Seine Augen blieben geschlossen, seine Hände verkrampft.
Der Arzt erhob sich mit besorgter Miene. »Ich werde ihm als erstes eine Spritze geben.«
»Und dann?«
»Bringen wir ihn schnellstens ins Hospital.«
8
Gordon Coopers Tätigkeit für Ivo Sorokin begann anders, als er es sich vorgestellt hatte. Er bewies aber so viel Energie und Umsicht, daß der Hongkonger Waffenhändler sehr zufrieden gewesen wäre, wenn er seinen neuen ›Privatsekretär‹ hätte beobachten können. Ohne zu zögern durchbrach Cooper alle Schranken, die einem Passagier auf einem Schiff gesetzt sind. Er stürmte auf die Kommandobrücke, wo er den Lotsen nach dem Namen des Krankenhauses von Penang fragte und sich erkundigte, an welchem Pier angelegt werde.
»An keinem«, bedeutete ihm der Kapitän, der über Sorokins Unfall bereits informiert worden war. »Wir haben eben darüber gesprochen. Penang verfügt nur über eine kleine Hafenanlage. Wir müssen draußen auf Reede bleiben.«
»Dann sorgen Sie dafür, daß schnellstens ein Boot zur Übernahme bereitgestellt wird«, erwiderte Cooper und wandte sich an den Ersten Offizier. »Verbinden Sie mich mit dem ›General Hospital‹. Jede Minute ist jetzt kostbar.«
Das Gespräch kam schnell zustande, und Cooper verlangte den leitenden Arzt zu sprechen, der glücklicherweise erreichbar war. Er erklärte ihm mit wenigen Worten, worum es ging, und übermittelte die Vermutung des Schiffsarztes, daß wahrscheinlich eine Wirbelfraktur, kaum aber eine vollständige oder teilweise Rückenmarkdurchtrennung vorliege. Der Chefarzt des Krankenhauses sicherte ihm daraufhin die sofortige Entsendung eines Sanitätswagens zum Swettenham-Pier zu, und eine knappe Viertelstunde später wurde die Bahre, die der deutsche Medizinalrat nach einer intravenös gegebenen Injektion behutsam unter Sorokin hatte schieben lassen, zwischen zwei Ladebäumen hängend an der Bordwand herabgelassen und von einem Kutter übernommen, der in der leichten Dünung nur wenig schaukelte. Cooper und der Schiffsarzt stiegen über die Gangway hinzu, und nach einer weiteren Viertelstunde wurde Sorokin, den Morphium in einen tiefen Schlaf gelegt hatte, inmitten einer gaffenden Menschenmenge in einen blitzsauberen Krankenwagen geschoben, dessen malaiisch gekleidetes Begleitpersonal mit
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