Roter Lampion
verabschieden. Da Cooper am Tage zuvor im Krankenwagen hinter Milchglasscheiben gesessen hatte und am Abend erst in der Dunkelheit zurückgefahren war, sah er nun zum ersten Male etwas von der wegen ihrer Schönheit so gepriesenen Insel. Die Sauberkeit der Straßen und die Buntheit der verschiedenen Baustile beeindruckten ihn ebensosehr wie die Üppigkeit der Vegetation.
Sie fuhren an weitläufig gebauten Villen vorbei, deren kunstvoll angelegte Gärten auf den ersten Blick chinesische Besitzer erkennen ließen. Künstliche Hügel und Wasserfälle, idyllische Lotosteiche, kleine Brücken und Pavillons, deren kühn geschwungene, mit bunten Majolikaziegeln bedeckte Dächer an aufsteigende Paradiesvögel erinnerten, legten ein beredtes Zeugnis vom Streben der Chinesen ab, sich daheim eine eigene Welt zu schaffen, eine Welt, in der sich künstliche Elemente mit Naturgegebenheiten zu einer neuen Harmonie vereinigen.
Die Traumwelt, durch die sie fuhren, löste Margit Holsteins Verkrampfung, und am Schluß der Fahrt kostete es sie keine Überwindung mehr, Gordon Cooper zu bitten, in Kuala Lumpur nicht in dem Hotel abzusteigen, in dem Patrice MacDonald für sie ein Apartment hatte reservieren lassen.
So großes Verständnis er für ihre Bitte hatte, es fiel ihm schwer, die erbetene Zusage zu machen. Der Verlauf der Nacht saß ihm noch zu sehr in den Gliedern, und er war froh, als es endlich soweit war, daß sie das Hospital erreichten, dessen Pförtnerin er ersuchte, Margit Holstein zu Ivo Sorokin zu führen, da er bei der Verwaltung noch eine Reihe von Formalitäten zu erledigen habe.
Margit Holstein warf ihm einen dankbaren Blick zu. Wenige Minuten später aber, als sie Sorokins matt gewordene Augen auf sich gerichtet sah, war sie zu Tode erschrocken.
»Sie hier?« stammelte er mit zitternder Stimme.
Sie trat an sein Bett und ergriff seine Hände. »Ich kann Sie doch nicht ohne Verabschiedung nach Kuala Lumpur fliegen lassen. Außerdem ist es mir ein Bedürfnis, Ihnen zu sagen, daß ich Sie künftighin täglich besuchen werde. Täglich, Mister Sorokin!«
Seine Mundwinkel zuckten. »Ich danke… Ihnen… Margit. Sie helfen… mir… damit sehr.«
Sie legte ihren Zeigefinger auf seine Lippen. »Schonen Sie sich. Ich rufe heute abend in Kuala Lumpur an und erkundige mich, wie es Ihnen geht. Die Operation wird bestimmt gut verlaufen.«
Er drückte ihre Hand. »Danke, Margit. Danke!«
Sie nahm ein neben seinem Kopfkissen liegendes Tuch und tupfte ihm Schweißtropfen von der Stirn. »Ich hoffe, Sie bleiben eine Weile in Kuala Lumpur. Wir können dort viel zusammen sein.«
Ivo Sorokin war es zumute, als senke sich ein Sonnenstrahl in sein Herz. Seltsam, dachte er. Vor zwei Tagen faßte ich den Entschluß, sie noch in diesem Monat zu besuchen, und nun werde ich mich täglich mit ihr unterhalten können.
Der Lärm eines Hubschraubers wurde vernehmbar.
»Die Maschine«, sagte er verkrampft.
Margit Holstein nickte. »Ich werde mich hier von Ihnen verabschieden. Draußen sind wir nicht allein, und ich möchte Ihnen doch sagen, daß meine Gedanken von nun an immer bei Ihnen sein werden, Ivo.«
Der Ausdruck seines Gesichtes wurde starr. »Ist es… Mitleid… das Sie… so sprechen läßt?« fragte er, mit jedem Wort ringend.
»Nein«, antwortete sie und strich zärtlich über sein dichtes Haar. »Es ist etwas ganz anderes. In Ihnen wird nun ein Prozeß vor sich gehen, in den ich mich auf unerklärliche Weise einbezogen fühle. Das Reifen geschieht für einige nach dem Tode, für andere in diesem Leben.«
9
Während am politischen Himmel ein Gewitter heraufzog, das sich über Ägypten und Israel zu entladen drohte und die Gefahr eines neuen Weltbrandes heraufbeschwor, erhellten sich über der Universitätsklinik von Kuala Lumpur die Wolken, die Ivo Sorokins Dasein so jäh beschattet hatten. Die von Professor Crabb vorgenommene Operation der Wirbelsäule hatte die gewünschte Druckentlastung gebracht, und es gab vage Anzeichen dafür, daß die eingetretene Lähmung mit der Zeit zurückgehen könnte. Wenn Bestimmtes auch noch nicht zu sagen war, die Möglichkeit einer Besserung war gegeben, und damit leuchtete ein Hoffnungsstrahl, der allen half und neuen Mut schenkte. Besonders natürlich Ivo Sorokin, den Margit Holstein nun schon seit zwei Wochen täglich für mehrere Stunden besuchte. Ihre Gegenwart beglückte ihn so sehr, daß ihn die Vorstellung bedrückte, jemals wieder ein Leben ohne sie führen zu
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