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Roter Regen

Titel: Roter Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moritz
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sich auf dem Sofa in
eine Decke gehüllt hatte und gerade eine Zigarette drehte.
    Killian kehrte mit der Plattenhülle zu ihr zurück, die ersten Töne
aus Miles’ Trompete erklangen aus den Boxen.
    »Von 1989? Hört sich älter an …«, staunte Bärbel.
    Killian füllte die beiden Gläser noch einmal mit Weißwein und kroch
zu ihr unter die Decke. »Nach der wilden Zeit des Elektro-Jazz hat er sich am
Ende wieder seinen Ursprüngen zugewandt … Hörst du den Sound? Trompete pur …
der klassische Miles-Sound, und doch anders.«
    Sie lauschten. Killian nippte am Müller-Thurgau, und Bärbel drehte
eine zweite Kippe. Ihr Blick fiel dabei wieder auf die Regenfotos, die an der
quer durch den Raum gespannten Wäscheleine hingen. »Fotografierst du deswegen
auch wieder mit der 6x6 und Schwarz-Weiß?«
    Killian zuckte mit den Schultern. »Vielleicht, ja … wahrscheinlich
hast du recht … auch ich suche meinen alten Sound … aber den könnte ich auch in
Farbe finden …«
    »Und warum dann Schwarz-Weiß?« Bärbel steckte beide Zigaretten an
und reichte Killian eine davon. Er nahm einen kräftigen Zug, ließ sich Zeit,
bis der Rauch durch die Lungen wieder aus der Nase gewandert kam, und suchte
nach einer ehrlichen Antwort.
    »Weil ich Angst habe, der Regen wäre auf meinen Fotos rot …«
    Sie schwiegen, rauchten und hörten Miles zu. Irgendwann brach
Killian das Schweigen. »Weißt du, dass ich ihn immer nur höre, wenn ich am
Kaiserstuhl bin? Für mich sind seine Musik und diese Gegend untrennbar. Ich
habe lange gebraucht, bis ich mir dessen bewusst geworden bin. Aber ein
Interview von Keith Jarrett hat mich erhellt.«
    Bärbel sah ihn von der Seite her an. Sie war sich nicht sicher, ob
er sie hochnehmen wollte. Man konnte sich bei ihm nie sicher sein. In manchen
Momenten öffnete er sich, und dann war er wieder der eiskalte Harlekin, an dem
man abrutschte wie an einer gefrorenen Felswand.
    Killian nahm noch einen Zug von der Zigarette, dann sprach er
weiter: »›Der Sound für sich allein kann genauso viel sagen, wenn nicht sogar
mehr, als ein ganzer Haufen Phrasen …‹, das hat Keith Jarrett über Miles’
Reduktion gesagt … und nichts trifft die südbadische Kommunikation besser als
diese Beschreibung …«
    Bärbel und Killian blickten sich an, dann brachen sie in Gelächter
aus.
    * * *
    Belledin saß in seinem abgewetzten Ledersessel mit Blick auf die
geschlossene Terrassentür und knetete an seiner fleischigen Unterlippe. Vor ihm
auf dem Eichenparkett lagen die Blätter aus Hartmanns Kladde.
    Er war nicht zufrieden mit dem Verhör, das er mit Margit geführt
hatte. Sie war ihm überlegen gewesen, und er wusste auch, warum. Weil sie einen
Heimvorteil gehabt hatte. Er war vor ihr in die Pfütze gefallen, und sie war
auf ihrem Terrain unbezwingbar. Wie eine hundertjährige Rebe hatte sie tief
verwurzelt in dem Löß gestanden und ihn elegant an sich abperlen lassen. Sie
war dabei noch nicht einmal patzig gewesen. Ja, sie hatte sogar Charme
bewiesen, als sie ihm hochgeholfen hatte. Und ihre Antworten waren nicht
ausweichend gewesen, sondern von einer überraschenden Direktheit. Damit hatte
er nicht gerechnet. Auch ihr Husten war nicht gespielt gewesen. Es ging ihr
tatsächlich nicht gut. Beinahe machte er sich Sorgen um ihren Zustand. Dabei
sollte er sich besser um sich selbst sorgen. Denn auch er war angeschlagen, und
das Telefonat mit Wagner hatte ihm den letzten Funken guter Laune genommen. Er
brummte nur, als Biggi ihm einen heißen Salbeitee auf das Glastischchen neben
dem Sessel stellte. Zwei selbst gemachte Pralinen schmückten den Unterteller.
    Biggi zog sich leise zurück; sie wusste, wann es besser war, mit
Bello nicht zu reden. Er hatte Halsweh und zwei Morde an der Backe. Hinzu war
ein Anruf von Wagner gekommen. Nach Telefonaten mit dem Greenhorn war ihr
Schatz oft übellaunig, aber diesmal musste es etwas Fürchterliches gewesen
sein, was dieser Stimmungstöter ihrem Gatten zugetragen hatte, und es hatte
ihre ohnehin kleine Hoffnung, dass ihr Mann sich an ihren vierundzwanzigsten
Hochzeitstag erinnerte, vollständig zerstört. Erst die Beerdigung, dann der
zweite Mord und nun der Anruf – da war kein Platz für private
Sentimentalitäten.
    Selbst Biggi hatte an Hartmanns Grab das wichtige Datum für einen
Moment vergessen. Aber sobald sie wieder zu Hause gewesen war, hatte sie sich
ganz auf die Vorbereitung eines festlichen Abends konzentriert. Gut, es war
noch nicht die Silberhochzeit,

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