Roter Regen
sah sich auf dem Hof um. Vielleicht wäre ein Traktor zu finden, mit
dem er zu Margit gelangen konnte? Aber bis auf eine alte Zündapp KS 80 fand Belledin nichts Brauchbares.
Der Schlüssel steckte. Warum nicht? Mit sechzehn hatte er eine Kreidler
gefahren, so etwas verlernte man nicht.
Belledin schwang sich auf die Zündapp und fuhr damit vom Hof. Er
umkurvte einige Pfützen erfolgreich und war stolz darauf, dass er das kleine
Zweirad noch immer beherrschte. Was hatten sie früher die Kisten frisiert!
Kleineres Ritzel und Löcher in den Luftfilter; das konnte an die zwanzig
Stundenkilometer mehr bringen. Die Maschine, auf der er aber gerade saß, war
leider im Originalzustand. Belledin beugte sich über die Lenkstange, um so mehr
Geschwindigkeit aufzunehmen. Die Augen tränten vom Fahrtwind.
Vor ihm tat sich ein Minenfels an Lachen auf. Belledin drosselte das
Moped und versuchte mit geschicktem Lenken den Spritzfallen auszuweichen. Aber
er meinte es zu gut. Das Vorderrad stellte sich mit einem Mal in einen
Neunziggradwinkel zum Hinterrad, und Belledin flog samt Zündapp in die Pfützen.
Er fluchte, was das badische Wortgut hergab.
»Sei froh, dass du in der Pfütze gelandet bist, sonst hättest du dir
alle Knochen gebrochen«, hörte er eine Stimme, der ein hohles Husten folgte.
Belledin blickte auf zwei grüne Gummistiefel. Dann sah er eine blasse Hand mit
Sommersprossen, die sich ihm entgegenstreckte.
»Komm, ich helf dir hoch. Sieht ja keiner«, sagte Margit rau.
Belledin griff Margits Hand und rappelte sich mit ihrer Hilfe aus
dem ockerfarbenen Brei. »Wenn ebbis hie isch, zahl ich des«, murrte er und
blickte dabei auf die Zündapp, an der sich Margit nun zu schaffen machte.
»Die haltet ebbis us. Do bruchsch dir keini Sorge mache.«
Belledin nickte. Der private Teil war im Dialekt abgehandelt worden,
jetzt wurde es wieder amtlich.
»Warum bist du nicht gekommen? Ich hatte Silke und dich aufs Revier
bestellt.«
Margit hustete wieder. »Ich bin krank, hörst du das nicht?« Sie
setzte noch einen Huster hinterher, damit Belledin es auch glaubte.
»Und warum arbeitest du dann in den Reben?«
»Weil das für mich Medizin ist. Wenn ich aber zu dir aufs Revier
komme, ist das Gift, du verstehst, was ich meine?«
Belledin grummelte. Er konnte sich denken, was Margit damit meinte.
Sie hatte schlechte Erinnerungen an Polizeireviere. Und er war es damals
gewesen, der sie eingebuchtet hatte. Konnte gut sein, dass so ein
Déjà-vu-Erlebnis nicht die beste Medizin war, wenn man mit einer Grippe
kämpfte. Aber auch Belledin befand sich nicht in bester Verfassung, und dennoch
stellte er sich den Dingen, die getan werden mussten.
»Was hat es mit Hartmann und Silke auf sich?«, kam er dann auch
direkt zur Sache.
»Ich sagte doch schon, sie war seine Patientin«, antwortete Margit
ruhig.
»Aber man bricht doch nicht am Grab eines Menschen zusammen, nur
weil er einem Globuli verabreicht hat. Da muss doch noch mehr gewesen sein«,
hakte Belledin nach.
»Silke neigte schon immer zur Hysterie. Früher konnte sie nicht ohne
ihre Puppen ins Bett, heute glaubt sie krank zu werden, wenn sie nicht die
richtige Medizin schluckt. Und ein Tag, an dem sie nicht von einem Mann
angehimmelt wird, würde sie ins Grab bringen.«
Belledin staunte nicht schlecht über das Gift, das Margit über ihrer
Schwester ausgoss.
»Ich meine, wenn Silke etwas mit Hartmann gehabt hätte, dann wäre
das sicherlich nicht gut für die bevorstehende Hochzeit gewesen, oder?«, bohrte
Belledin weiter.
Margit hustete wieder. Diesmal dauerte es länger, bis sie wieder
reden konnte. Sie blickte Belledin beinahe milde an und sagte: »Weißt du, Silke
könnte mit fünf Männern gleichzeitig was am Laufen haben, das wäre dem sechsten
egal. Und wenn der siebte Andreas Zimmerlin ist, der, wenn er in den Spiegel
guckt, ganz genau weiß, dass Silke ihn nicht wegen seines Charismas heiratet,
dann wäre es auch ihm egal, ob Silke etwas mit Hartmann gehabt hätte.«
Belledin nickte und nagte nachdenklich an seiner Unterlippe. »Wessen
Idee war die Hochzeit?«, fragte er dann endlich.
Margit lächelte. »Ich muss jetzt los. Den Herbst retten, wo er noch
zu retten ist. Willst du mit der Zündapp fahren oder lieber mit dem Traktor?«
Belledin nickte zur Zündapp. So leicht ließ er sich nicht unterkriegen.
* * *
Killian stand nackt am Plattenspieler und wechselte die Scheibe.
»Amandla« von Miles Davis.
»Bringst du mir das Cover?«, fragte Bärbel, die
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