Roter Regen
denen Biggi
übers Parkett klapperte, waren nach seinem Geschmack. Und als Biggi sich mit
den lackierten Fingernägeln in den zart bedeckten Schritt griff, hätte es für
Belledin an jedem anderen Tag kein Halten gegeben. Aber heute ging es nicht. Es
regte sich nichts. In seinem Kopf kreisten nur physikalische Formeln und die
Angst vor dem BKA . Er atmete
schwer und zog Biggi zu sich auf den Schoß. Biggi wollte sofort mit dem
Programm loslegen, aber Belledin hielt sie an den Handgelenken fest und blickte
ihr streng in die Augen. Dann schüttelte er den Kopf und brauchte nichts weiter
zu sagen.
Biggi wusste nicht, ob sie enttäuscht sein oder ob sie sich um ihren
Gatten sorgen sollte. Sie kannte ihn lange genug, um zu wissen, worauf er
abfuhr. Bei ihm musste man nichts Phantasievolles bringen, es genügte eine
billige Routine, um ihn heißzumachen – wenn er es nicht schon von allein war.
Aber das war noch nie vorgekommen. Es musste etwas Ernsthaftes sein.
»Cognac?«, fragte Biggi, und ihre Fürsorge biss sich mit ihrem
Outfit.
Belledin lächelte dankbar und nickte. Biggi ging ab, schwenkte dabei
aber einladend die Hüften in der Hoffnung, er würde ihr vielleicht nachgucken
und es sich noch anders überlegen. Aber Belledins Blick wanderte wieder über
die Seiten der Hartmann’schen Berechnungen.
ZWEI
Das Wasser brodelte, und der Kocher schaltete sich automatisch
aus. Killian nahm ihn und goss das Wasser in eine Thermoskanne. Es dauerte
nicht lang, da war auch der Rest seines Bündels gepackt. Beim Hinausgehen warf
er noch einen Blick auf die schlafende Bärbel. Ihr rotes Haar umkränzte ihr
helles Gesicht und hob sich vom Samt des grünen Sofabezugs ab. Killian zögerte.
Sollte er sie so fotografieren? Oder würde auch ein heimlicher Kuss auf ihre
Stirn genügen? Er entschied sich für keines von beidem. Zum Fotografieren
fehlte ihm die Muse, und der zarte Abschiedskuss passte nicht zu der Beziehung,
die sie hatten. Hatten sie überhaupt eine Beziehung? Nährte sich ihr
Zusammensein nicht lediglich aus der Vergangenheit und dem Umstand, dass sie
eine gemeinsame Tochter hatten?
Killian schob vorsichtig das Tor zur Seite und achtete darauf, dass
die Morgensonne nicht auf Bärbels Gesicht fiel. Es war gut, dass sie noch
schlief. Killian hatte keine Lust auf Frühstücksgespräche. Dadurch entstünde
schon der Verdacht einer Beziehung. Er hoffte, dass Bärbel verschwunden wäre,
wenn er wieder zurückkam. Er war nicht bereit für eine Beziehung, zu sehr
wühlte noch die Erinnerung von Rohinas Tod in ihm.
Die Ateliertür wurde von außen wieder geschlossen, und Bärbel
öffnete die Augen. Sie war schon lange wach gelegen, aber auch ihr war nicht
nach einem Frühstücksgespräch gewesen. Vor allem weil sie befürchtete, dass es
zwischen ihr und Killian wieder zum Hahnenkampf kommen würde. Das wollte sie
umgehen. Zu schön waren der gestrige Abend und die Nacht gewesen. Sie fühlte
sich erschöpft: Erst das Mobbing innerhalb der kommunalen Grünen-Partei, dann
der Burn-out in der Schule, Killians Rückkehr, das Geständnis, dass Swintha
nicht Svens, sondern seine Tochter war – und jetzt die Geschichte mit Hartmann.
Bärbel war nicht nur irgendeine Studentin von Hartmann gewesen, und
sie hatte auch nicht nur mit ihm geschlafen. Sie war eingeweiht in seine Pläne,
hatte für ihn sogar fünfzigtausend Euro Kredit aufgenommen und sich dadurch
wieder einen Sinn im Leben erkauft: Wasser für alle! Natürlich war sie naiv
gewesen; sie wollte sich fühlen wie eine Zwanzigjährige, die Händchen haltend
auf den Demos »Frieden schaffen ohne Waffen« skandierte. Sie hatte verdrängt,
wie ungern es gewisse Lobbys sahen, wenn die Karten plötzlich neu gemischt
wurden. »Regen für alle« würde die Machtverhältnisse des Globus gewaltig
verändern. An der Börse entstünde ein Hauen und Stechen, aus Wüsten der dritten
Welt würden Oasen der Fruchtbarkeit gedeihen und: Wer Regen machen konnte,
konnte der ihn nicht auch verweigern?
Bärbel schauderte bei dem Gedanken. Ein Leben lang war sie in
politischer Opposition gewesen; der Gedanke, über ein Instrument absoluter
Macht zu verfügen, versetzte sie in Schrecken. Sie kam sich plötzlich vor wie
in einem Bond-Thriller, in dem der böse Blofeld die Welt erpresste. Und sie
wusste, dass viele Menschen sterben mussten, ehe dem Schurken das Handwerk
gelegt wurde. Aber wer war der Schurke? Steckten tatsächlich höhere politische
Mächte hinter Hartmanns und Christas Tod?
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