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Roter Regen

Titel: Roter Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moritz
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Augenbrauen. »Der ist aber gut. Muskat?«
    »Einfacher Müller, mit viel Liebe und Geduld gekeltert …
sensationell, der Fruchtgeschmack am Ende.«
    »Woher hast du den?«
    »Vom Bruder einer Nachbarin. Ich hatte ein paar Fotos von ihrem Haus
geschossen. Ihr Mann hat die Fensterläden mit alten Pigmenten im ursprünglichen
Blau angestrichen und damit das Dorf rebellisch gemacht. Außerdem haben sie
noch andere architektonische Dinge riskiert, die ich dokumentiert habe. Dass
sie deswegen nicht aus dem Dorf getrieben werden, gleicht einem Wunder.«
    »Wegen blauer Fensterläden?«
    »Wegen nach außen getragenen Andersseins. Man greift die Leute an,
wenn man anders ist. Das war hier doch schon immer so.«
    »Aber du warst auch anders, und ich auch.«
    »Wurden wir deswegen nicht auch vertrieben?«
    »Ich bin geblieben.«
    »Äußerlich ja, aber wohin bist du innerlich gelaufen?«
    Bärbel antwortete nicht. Sie nahm einen großen Schluck, leerte das
Glas und streckte es Killian hin, damit er es ein weiteres Mal füllte.
    »Es gibt noch eine Tote«, sagte sie dann tonlos.
    »Ich weiß. Belledin war vorhin hier und hat es mir gesagt.«
    »Belledin? Was macht der denn bei dir? Heiratet seine Tochter? Oder
braucht er neue Passbilder?«
    Killian ging nicht auf die Polemik ein. »Ich hatte ihn in der Praxis
von Hartmann getroffen, als ich ihn auf deinen Rat hin konsultieren wollte.
Belledin wartete dort auf Hartmanns Assistentin. Sie hatten eine Verabredung,
und sie kam nicht. Jetzt wissen wir, warum. Belledin hatte in der Praxis einen
Ausdruck von einigen Dokumenten gezogen, die er in Hartmanns Computer entdeckt
hatte und die ihm wichtig erschienen. Die Dokumente hatte er dann in der Krone
vergessen, wo wir zusammen mittaggegessen haben.«
    »Und du hast die Dokumente dann an dich genommen, damit sie nicht in
falsche Hände geraten.«
    »So ist es.«
    »Und wo sind sie jetzt?«
    »Die hat Belledin wieder, deswegen war er hier.«
    »Und wo sind die Abzüge der Dokumente?«
    Killian spielte Entrüstung. »Was unterstellst du mir?«
    Sie blickten sich stumm an.
    Bärbel wollte nicht nach Hause. Nicht heute Abend. Sie fühlte sich
wohl bei Killian, auch wenn sie wusste, dass sie immer am Rande einer
handfesten Streiterei gratwanderten. Es war schon früher so gewesen. Am Ende flogen
die Fetzen, oder sie landeten im Bett. Und Bärbel war nach Letzterem. Sie
wollte sich einen Augenblick von den Sorgen des Jetzt ins Zeitloch der
Sinnlichkeit werfen. Und bei Killian hatte sie nicht mit Konsequenzen zu
rechnen, er stellte keine Ansprüche. Das hatte er nie getan. Früher hatte sie
gerade das rasend gemacht, jetzt war sie froh darum. Sie nahm einen weiteren
Schluck Wein und drückte ihre Lippen mutig und mit dem Wunsch auf Gegendruck
auf Killians Mund.
    Er gehorchte der Aufforderung und stellte sein Glas ab, während er
mit Bärbel in die Kissen des Sofas sank. Während Bärbel ihm das Hemd aufknöpfte
und in der Abwärtsbewegung jeden geöffneten Knopf mit einem Kuss auf seinen
Bauch bedachte, überlegte er kurz, ob es nicht besser wäre, die Platte
vorsorglich umzudrehen, ehe die Seite zu Ende gespielt war. Aber der Gedanke
verflog, wie er gekommen war, als sich Bärbel entschlossen seiner Hose widmete.
    * * *
    Endlich kam Wagner an die Reihe. Seine Ernte war mickrig. Ganze zwei
Bottiche hatte er aus seinem Areal retten können. Und die Öchslezahl war sehr
bescheiden. Noch nicht einmal 68 zeigte das Messgerät an. Geknickt blickte er
den Trauben nach, die vom Kran in den Schlund des Sammelbeckens geschüttet
wurden. Dumpf schlugen die leeren Bottiche wieder auf dem Hänger seines
Traktors auf. Wagner nahm den Beleg entgegen und schwang sich auf den Bock.
    Hinter ihm wartete schon der Nächste.
    Langsam lenkte er seinen Traktor an den Straßenrand, wo sich bereits
weitere Halberwerbswinzer versammelt hatten. Der Duft der Weißweinhefe
schwängerte die Abendluft im Dunstkreis der Winzergenossenschaft. Einige der
Winzer sogen sie ein, als handele es sich um die neueste Kreation eines
Parfümeurs.
    »Ich sag dir, des hät was mit dem Quacksalber zu schaffe … Mei Frau
schwört druff, dass dä Rege sofort uffghört hät, wo sie dä Sarg ins Grab glosse
hänn …« Der Wortführer schwang seinen fleischigen Zeigefinger in die Luft, um
der These Nachdruck zu verleihen. Die anderen blickten sich stumm an. Einer
zuckte mit den Schultern, der andere wiegte den Kopf unschlüssig hin und her,
ein Dritter nickte allwissend.
    Wagner

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