Roter Regen
da würde sie es fulminanter angehen. Umso
romantischer hatte sie sich den heutigen Abend ausgemalt. Zwar hatten sie
bereits ihren wöchentlichen Sex am Mittwoch vollzogen, aber mit der Wäsche, die
sie sich für heute gekauft hatte, hätte sie ihren Bello auch an einem
Freitagabend willig gemacht. Sie verfluchte diesen Wagner, hoffte aber insgeheim,
dass die beiden Zahlen, die sie auf die Pralinen gespritzt hatte, ihrem Mann
einen Denkanstoß in die gewünschte Richtung geben würden.
Belledin hielt einen der Pralinenwürfel zwischen den Fingern und
stierte weiterhin auf die am Boden verteilten Blätter mit den physikalischen
Formeln. Während auf einer der Gleichungen die Wurzel aus einer Unbekannten
gezogen werden sollte, schmolz auf dem Pralinenwürfel bereits das
pistaziengrüne Zuckerdatum »24.09.«. Belledin ließ die Kinnlade wie ein
Nussknacker hinunterfallen und warf sich den Pralinenwürfel aus gut dreißig
Zentimetern Entfernung in den Mund. Dann klappte er die Lade zu, genoss den
zerfließenden Kakao in seinem Mund und leckte sich die verschmierten Finger ab.
Ohne den Blick von den Formeln abzuwenden, griff er nach dem zweiten Würfel,
der vergeblich in Signalrot die Zahl 1985 zeigte. Auch dieser Gaumenschmaus
verschwand ungeachtet seiner Bedeutung im Schlund des Kommissars.
Belledin spülte mit einem Schluck Salbeitee nach und schüttelte
sich. Die Diskrepanz zwischen den köstlichen Pralinen und dem bitteren Salbei
war für ihn unerträglich. Aber er befand sich damit wieder auf dem Boden der
Tatsachen.
Was ihm Wagner von der Regenmaschine erzählt hatte, war mindestens
so herb wie der Geschmack dieses Gebräus. Wenn auch nur ein Funke daran wahr
sein sollte, dann durfte Belledin sicher sein, dass das BKA bald auf der Matte stehen würde. Aber konnte an dem
Unsinn etwas dran sein? Lagen vor ihm etwa die Pläne zu solch einer Maschine?
Nein, Wagner hatte etwas aufgeschnappt und wollte sich wichtig
machen – und Schluss. Belledin schluckte, und es stach. Oder sollte es doch
möglich sein? Die Brüder Wright waren als Erste über den Ozean geflogen, Neil
Armstrong hatte einen großen Schritt für die Menschheit getan, und Belledin
konnte ab und zu über Computer mit seiner Schwester in Kolumbien kommunizieren
und sie dabei auch noch sehen. Warum sollte es da einem Besessenen nicht
gelingen, eine Regenmaschine herzustellen? Nur weil es vor ihm noch keiner
geschafft hatte?
Und was hätte es für eine Bedeutung, angenommen es gäbe diese
Maschine?
Belledin begann zu schwitzen. Ob es vom Salbeitee kam oder von dem
Gedanken daran, über Plänen zu hocken, die die Machtverhältnisse der Welt
ändern konnten, wusste er nicht zu sagen. Er öffnete die obersten Knöpfe seines
Hemdes, schnaufte durch und versuchte trotz des Schweißausbruchs, einen kühlen
Kopf zu bewahren.
Wenn ein Bauer oder Winzer tatsächlich Hartmann für den wochenlangen
Dauerregen verantwortlich machte, dann wäre das Motiv genug, den Tüftler zu
ermorden. Selbst wenn es diese Maschine gar nicht gäbe. Der Frust suchte ein
Ventil, und Hartmann war ein dankbares Angebot. Das schien Belledin
nachvollziehbar. Jedenfalls mehr als der Gedanke, dass jemand Herr über den
Regen sein konnte.
Trotzdem war er dazu verpflichtet, dem BKA Meldung zu machen. Aber es war Freitag. Er könnte sich
das Wochenende noch nehmen und erst am Montagabend die Meldung nach Wiesbaden
schicken. Damit hätte er drei Tage gewonnen, um den Fall selbst zu klären. Aber
drei Tage waren wenig. Die Spurensicherung würde allein drei Tage brauchen, um
einige Möglichkeiten auszuschließen. Und auch die pochte mittlerweile auf ihr
Wochenende.
Belledin nahm eine Bewegung wahr und blickte von den Papieren auf.
Vor ihm stand Biggi in Reizwäsche. Auch das noch. Sie sah gut aus, die fünfzehn
Kilo weniger hatten eine andere Frau aus ihr gemacht. Erst hatte Belledin
gedacht, er hätte eine Geliebte, weil ihm der Körper von Biggi so fremd
geworden war. Auch hatte er den Eindruck, dass durch die Diät ihre Brüste
geschrumpft seien, und das hatte ihm anfänglich Sorgen gemacht. Da Biggi durch
ihre körperliche Veränderung aber auch aktiver geworden war, hatte sie ihm
seine Sorgen gleich wieder ausgetrieben. Er spürte den Mittwoch noch in der
Gesäßmuskulatur.
Jetzt begann sie vor ihm zu tanzen wie eine dieser Softpornomiezen,
die sich gerne auf Autokühlern ausbreiteten. Normalerweise genau der richtige
Trash, um Belledin in Wallung zu bringen. Auch die High Heels, in
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