Roter Regen
Dankeschön
hätte sie sich wenigstens abringen können. Und nun hatte ausgerechnet sie es
verpatzt, wer sonst. Der Typ, der ihn auf dem Stuhl gefesselt hatte, schien von
irgendeinem Geheimdienst zu sein. Seine effiziente Arbeitsweise hatte es Bader
sofort verraten. Schließlich hatte er selbst durch Lupescu viel von dieser
Effizienz gelernt.
Lupescu – Bader hoffte auf ihn. Lupescu würde den Braten riechen.
Über die installierten Kameras würde er sehen, dass Bader nicht im Laden war,
und verschwinden.
Killian vermutete, dass Lupescu das Flesh&Blood überwachte,
deswegen war er über den Hinterhof durch ein Fenster eingestiegen; im
Ladenlokal selbst waren sicherlich Kameras installiert. So bräuchte Lupescu
lediglich jemanden zu schicken, wenn er Argwohn hegte. Und das galt es für
Killian zu vermeiden.
Lupescu oder einer seiner Schergen hatte vermutlich auf einem
Bildschirm verfolgt, wie Bader in das Hinterzimmer des Lokals gegangen war.
Killian hatte auch das Hinterzimmer nach Kameras abgesucht, aber keine
entdeckt. Entweder hatte Bader dort keine Gefahr vermutet oder er war zu
knausrig. Killian sollte es recht sein. Wenn Anna Popescu nun eintrat wie
besprochen und so tat, als würde sie im Nebenraum mit Bader reden, würde es
Lupescu vielleicht kaufen.
Anna blickte auf die Uhr. In einer Viertelstunde war es neun Uhr.
Sie steuerte auf das Flesh&Blood zu und zog einen Schlüssel hervor, um die
Ladentür aufzuschließen. Im Inneren brannte noch Licht.
»Bader? Ich bin’s, Anna.«
Bader erschien nicht. Anna ging durch den Geschäftsraum und blieb
etwa einen Meter vor dem Durchgang zum Hinterzimmer stehen. Sie entdeckte den
geknebelten und gefesselten Bader im Licht einer digitalen Uhr, die ihm das
Gesicht grünlich färbte. Der Kriegsfotograf war nicht zu sehen. Aber Anna
spürte, dass er in der Nähe war.
Über einen Monitor, den Lupescu in seiner panzerverglasten E-Klasse
hatte installieren lassen, sah er, wie Anna in Richtung Hinterzimmer
gestikulierte. Er fluchte darüber, dass sie nicht auch Mikrofone eingesetzt
hatten: »Wie in den siebziger Jahren!«
Dado, der den Monitor auf den Knien hielt, zuckte mit den Schultern.
»Bader ist nun mal geizig. Er meinte, das ginge alles nur wieder von seinem
Budget ab.«
»Korinthenkacker. Ich hasse diese Buchhalter. Wegen solcher Typen
kriecht unser Land am Boden.« Lupescu musste sich zügeln. Er durfte jetzt nicht
ins politische Polemisieren abrutschen. Aber seine Hitze war geschürt, er hatte
genug gesehen. Die Knausrigkeit Baders hatte ihn so in Rage gebracht, dass er
nun handeln musste.
»Es geht los«, befahl er, und die E-Klasse fuhr an. Dado blieb
wachsam mit dem Auge am Monitor, während Lupescu seine Pistole im Trenchcoat
entsicherte. »Fahr direkt vor die Tür. Wenn Bader observiert wie in den
Siebzigern, können wir auch einen Coup machen wie in den Dreißigern.«
Belledin bekam von mehreren Posten aufgeregte Zeichen über Funk. Er
blieb noch am Fenster des Bistros sitzen, bis Lupescu im Flesh&Blood
verschwunden war, dann brummte er in sein Funkgerät: »Zugriff auf Wagen.«
Die Aktion ging rasch und leise vor sich. Der Chauffeur und Dado
waren schnell überrumpelt und aus dem Wagen gezogen. An ihre Stelle setzten
sich nun zwei von Belledins Truppe. Belledin selbst verließ das Bistro und ging
über die Straße. Er passierte den fingierten Straßensänger, der gerade Bob
Dylans »Don’t think twice, it’s allright« krächzte. Belledins Knie schmerzte,
aber das Adrenalin ließ ihn alles vergessen.
Anna stand vor einem der Regale, um die Abzüge in den Bildband von
Mario Bava zu schieben.
»Wozu die Mühe? Gib sie mir direkt.«
Anna schreckte herum. Teils war es gespielt, teils aber auch echt.
Sie wusste natürlich, dass Lupescu den Laden betreten hatte. Aber sie konnte
nicht wissen, wie er weiter handeln würde.
Sie reichte Lupescu die Abzüge, und er lächelte sie warm an. Genauso
warm wie damals, als sie ihn vor dem falschen Schachzug gewarnt hatte. Mit
einem Schlag fühlte sie sich elend. Sie war wieder das kleine Mädchen, das
durch Lupescu ihren eigenen Wert gefunden hatte. Er hatte sie adoptiert,
erzogen wie seine eigene Tochter, und sie war kurz davor, ihn zu verraten. Was
wäre ihr neues Leben wert mit dem Verrat auf der Seele? Hätte sie überhaupt
eine Chance, ein neuer Mensch zu werden? Wog die Geschichte, die ihr in die
Seele gebrannt war, nicht ewig? Wie viel Kraft würde es kosten, eine Figur zu
erfinden, die sich selbst
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