Roter Regen
nicht eingehalten.
Schließlich sollten Sie Lupescu doch die Zahlen liefern, oder nicht?«
Killian spürte, dass er sie jetzt dort hatte, wo er sie haben
wollte. Ihr musste klar sein, dass sie nur noch eine Chance hatte, wenn sie
sich auf sein Angebot einlassen würde.
»Das war ein einfacher, aber geschickter Zug«, lobte Anna. »Nein,
auch was mich angeht lässt er nicht mehr mit sich handeln.« Sie ließ den Kopf
sinken. Dann hob sie ihn wieder und fragte: »Was soll ich tun?«
»Verabreden Sie sich mit Lupescu und sagen Sie ihm, dass Sie die
Zahlen haben.«
»Wir haben uns schon verabredet. Heute Abend um neun Uhr, im
Flesh&Blood in Freiburg.«
»Flesh&Blood?«
»Ein Gothic- und Mystery-Shop hinterm Martinstor. Ich soll Lupescu
dort die Bilder übergeben«, log Anna. Matt war man nur, wenn man nicht mehr
ziehen konnte. Solange man noch die Möglichkeit hatte, sich zu bewegen,
bestanden auch immer Chancen, zu gewinnen.
»Gut, dann treffen Sie sich dort wie verabredet mit ihm und tun so,
als ob sie die Fotos hätten.«
»Er wird sie sehen wollen.«
»Er wird sie kriegen.«
Anna wurde nervös. Sollte ihre Kopf-und-Kragen-Strategie etwa
fruchten?
»Die Fotos liegen unter dem Laptop. Aber es sind nur Abzüge. Und
hinten drauf stehen zwar Zahlen, aber ich glaube kaum, dass es die richtigen
sind«, lächelte Killian und freute sich darüber, dass Anna Popescu für einen
Moment dachte, sie könnte ihm mit einer einfachen Springer-Gabel die Dame
stibitzen.
Enttäuscht hob sie den Laptop an und zog die Fotos mit den
Wasserkristallen hervor. Sie sah auf die Rückseite und blickte auf die Grade
und Winkelzahlen, die darauf notiert waren. Sie verwünschte ihren Gegenspieler
innerlich, ließ sich aber nichts anmerken. So knapp war sie davor gewesen. Am
liebsten hätte sie dem Fotografen gegen das Schienbein getreten, so wie sie es
früher oft getan hatte, wenn sie den älteren Schachspielern aus dem Club in
Bukarest auf den Leim gegangen war. Aber Killian saß ihr nicht gegenüber, er
existierte nur virtuell. Und als Anna ihm noch etwas sagen wollte, gab es ihn
nicht einmal mehr auf dem Bildschirm. Er hatte sich wieder unsichtbar gemacht.
War gegangen, wie er erschienen war. Anna schluckte ihren letzten Satz hinunter
und verließ mit den Abzügen die Praxis.
* * *
Killian war sich sicher, dass sie am Abend ins Flesh&Blood
kommen würde. Fliehen würde sie nicht, weil sie glaubte, sie würde ständig
unter Beobachtung stehen. Das war ein feiner, aber nicht unbedeutender
Nebeneffekt der Laptop-Konferenz. Killian hatte in der Tat nicht einen einzigen
Beamten vom BKA an seiner Seite.
Moshe hatte es nicht gewollt, die Leute aus Wiesbaden mit an Bord zu nehmen.
Die Geheimnisse des Regenmachers wollte er erst einmal allein auswerten. Seit
1968 hatten sie die Atombombe, eine Regenmaschine wäre aber noch viel
wertvoller. Wem der Regen gehorchte, der hatte den richtigen Gott auf seiner
Seite. »Si vis pacem para bellum«, sagte Moshe immer, und er hatte es von einem
alten Römer geklaut, der es wissen musste.
Killian wusste um diese Spekulation, als er sich die Rückseite der
Fotos ansah. Es war reiner Zufall gewesen, dass er auf sie und die Bedeutung
der Zahlen gestoßen war: Nachdem er vom Paracelsus-Institut die Namen von
Hartmanns Lerngruppe erfahren hatte, war Killian noch mal in die Praxis
gefahren, um in Hartmanns Kartei nach den fünf Frauen zu forschen. Tatsächlich
hatte Hartmann die Damen mit Foto ordentlich abgeheftet. Schließlich waren sie
nicht nur Schülerinnen, sondern auch Spenderinnen für sein Projekt »Regen für
alle« gewesen. Als Killian das Foto von Anke Popescu mit ihrem Namen in
Einklang gebracht hatte, hatte er in der Datenbank des Mossad nachgeforscht,
wer das Internat und die Ausbildung von Anna Popescu bezahlt hatte. Über einige
Strohmänner und Decknamen war er schließlich bei Lupescu gelandet. Daraufhin
hatte er Belledin angerufen, der das Gespräch allerdings auch diesmal nicht
entgegengenommen hatte.
Killian hatte gerade wieder gehen wollen, da war ihm beim Zuschieben
des Aktenschranks eine kleine Mappe aufgefallen, auf deren roten Karton mit
schwarzem Edding »Stein der Weisen« geschrieben stand. Er hatte die Mappe
geöffnet; eine Reihe von Fotografien, die zerschlagene Edelsteine zeigten, und
eine Skizze, die verschiedene Steine in Winkelstellungen zueinander darstellte,
waren darin gewesen. Killian hatte die Skizze herausgenommen und studiert. Sie
hatte ihm nichts gesagt. Dann
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