Roter Regen
war sein Blick auf die Wasserkristallfotos an der
Wand gefallen, und er hatte bemerkt, dass sie aus unterschiedlichen Winkeln
fotografiert waren. Er hatte sie von der Wand genommen und die Winkelstellungen
mit denen auf der Skizze verglichen. Genau konnte es Killian auch da noch nicht
sagen, aber es hätte hinkommen können. Als er aber entdeckte, dass die
Winkelstellungen auf die Rückseiten geschrieben worden waren, war er sich
sicher, dass die Zahlen etwas mit dem Regenmachen zu tun haben mussten. Und
wenn Anna Popescu hinter diesen Zahlen her war, dann würde sie bald in
Hartmanns Büro kommen, um danach zu suchen.
Sie war gekommen. Es hatte alles so funktioniert, wie es Killian
berechnet hatte. Aber das Spiel war noch nicht zu Ende. Killian war allein, und
Lupescu durfte nicht von ihm, sondern musste von der Polizei gefasst werden. In
der Außendarstellung musste es sich bei Hartmanns Tod um einen Mord aus
Geldgier handeln, alles andere musste unter den Teppich gekehrt werden. Anna
Popescu würde dies bezeugen, ob es nun so gewesen war oder nicht. Die Wahrheit
war wieder einmal zweitrangig, es ging um mehr.
Killian biss sich bei dem Gedanken auf die Lippen, wie er es oft
getan hatte, wenn er Fotos, die der Welt einen wahren Eindruck hätten
vermitteln können, einfach verbrannt hatte, weil es besser für alle gewesen war.
»Besser für alle«, wiederholte Killian leise. Kleine Lügen
schmierten den reibungslosen Alltag des gemeinsamen Zusammenlebens, aber es
brauchte auch große Lügen, um die Welt in Gang zu halten.
Es war an der Zeit, Belledin wieder mit ins Boot zu nehmen. Zwar
würde er von den eigentlichen Mordmotiven nie etwas erfahren dürfen, dafür
bekam er aber die Gelegenheit, Lupescu und seine Komplizin zu verhaften. Der
Rest wäre dann Sache zwischen Mossad und BKA .
Killian erkannte auf seinem Display, dass Belledin ihn bereits
mehrfach versucht hatte anzurufen und drückte auf dessen Nummer, um eine
Verbindung herzustellen.
* * *
Belledin blickte auf seine Armbanduhr. Noch eine Stunde, dann wäre
Zugriff. Er war nervös. Er hatte sich so viele Patzer in diesem Fall geleistet,
und nun stand er kurz davor, ein ganz großer Held zu sein. Er sollte Marcel
Lupescu fassen, nicht irgendeinen hüftkranken Hühnerdieb. Seine Leute waren
instruiert. Es gab keinen einzigen Polizisten in Uniform. Alle trugen Zivil,
spielten Pärchen, bummelnde Touristen, und sogar ein Straßenmusiker hörte auf
Belledins Kommando.
Er merkte, wie sein Knie anschwoll. Eine Folge der Hetzjagd auf
Margit. Belledin hoffte, dass sie durchkam. Er machte sich Vorwürfe.
Brenn hätte sich früher oder später sowieso erhängt, aber beinahe
hätte er die unschuldige Margit in den Tod getrieben. Zum Teil gab er auch dem
trunksüchtigen Wagner die Schuld. Hätte der sich über Funk exakter ausgedrückt,
wäre das Missverständnis erst gar nicht entstanden.
Wagner, der Arme. Auch für einen Gedanken an ihn war noch Zeit: Er
lag ebenfalls im Krankenhaus. Allerdings konnte er sich das Semmelweis nicht
leisten. Aber auch in der Uniklinik hatten die Ärzte sofort erkannt, dass es
mit seinen Trinkgewohnheiten im Argen lag. Doch nicht nur das; es bestand der
Verdacht, dass Wagner an Diabetes litt. Deswegen hatte er diesen Höllenbrand
gehabt und war dann aus Unterzuckerung umgekippt. Das bedeutete Entzug und
Diät.
Diät, immer wieder Diät, wohin man blickte. Belledin würde sich
trotzdem weiterhin weigern, auch wenn sein Trotz ihm das Knie ruinierte.
Er war gespannt, ob sie pünktlich kämen. Die Rumänen nahmen es ja
mit der Uhrzeit nicht so genau. Dafür aber hatten sie Bräuche und Sitten, die
man peinlichst beachten musste, wollte man nicht auf ewig in Missgunst fallen.
Einen Brauch, das hatte Belledin auf dem Dokukanal gesehen, empfand er als
besonders bizarr: Wenn man einem lebenden Menschen eine gerade Anzahl Blumen
schenkte, bedeutete das nichts Gutes. Eine gerade Anzahl von Blumen bekamen nur
die Toten geschenkt. Lebendigen schenkte man eine ungerade Anzahl. Die höhere
Logik, die dahinterstand, besagte, dass man eine ungerade Anzahl nicht durch
zwei dividieren könne, die Blumen also nur für den Beschenkten allein bestimmt
waren und somit als ernst gemeintes Geschenk. Den Toten allerdings schenkte man
die gerade Anzahl, damit sie den Strauß im Jenseits mit ihren Liebsten teilen
konnten.
Belledin war zwar in letzter Zeit etwas tollpatschig gewesen, aber
er war keineswegs auf den Kopf gefallen. Er wusste, wer Lupescu
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