Roter Regen
war. Und
deswegen wunderte er sich auch, warum er und nicht das BKA sich den fetten Fisch ins Netz ziehen durfte. Auch das BKA stand unter Druck, Erfolge
vorzuweisen, und Lupescu war eine Trophäe, mit der sich jeder gerne schmückte.
Vielleicht hatte er es ja Killian zu verdanken, dass diese unangenehme Brut aus
Wiesbaden sich aus seinem Fall heraushielt. Er würde ihm dafür eine Flasche
Rémy Martin schenken und sie mit ihm gemeinsam in dessen Atelier leeren.
* * *
Anna hatte die unsichtbaren Ermittler auf Anhieb erkannt. Sie musste
sogar kurz lachen über die Klischees, derer sich die Häscher bedienten. Sie
drückte sich in einen Hauseingang, am Eck der Straße, um nicht gleich gesehen
zu werden. Hinter ihr rauschte eine Straßenbahn über die Kaiser-Joseph-Straße
und bimmelte Radfahrer von den Gleisen. Durch ein Opernglas sondierte sie nun
die gegenüberliegende Straßenseite. Ihr Blick fiel auf das Bistro, das sich
gegenüber dem Flesh&Blood befand. Dort hatte sie mit Belledin ihr
gemeinsames Glas Rotwein getrunken, nach der Lesung von Maria Bava. Jetzt
hockte er allein dort, nippte an einer Tasse Hagebuttentee und wartete darauf,
sie zu schnappen.
Ein Anflug von Mitleid stieg in ihr hoch. So übel war der naive
Gimpel doch gar nicht. Er tat seinen Job und wirkte einsam. Das hatten sie
beide wohl gemein. Was würde er sagen, wenn sie nun zu ihm hinginge und sich
ihm erklärte? Würde es ihm helfen? Würde es ihr helfen?
»Scheiß drauf, keine Erklärung der Welt rechtfertigt unser Tun. Wir
handeln aus was für Motiven auch immer – und wir müssen dafür die Konsequenzen
tragen«, bestätigte sie sich. Belledin ebenso wie sie selbst, Lupescu und all
die Schweine, die ihr die Kindheit ruiniert hatten.
Sie hatte keinen Plan. Zum ersten Mal spielte sie ihre Partie, ohne
drei Züge im Voraus zu denken. Sie würde nur im Moment sein und reagieren. Eine
Situation, die ihr fremd war, aber nicht ohne Reiz. Es befreite sie, gab ihr
das Gefühl, sein zu dürfen. Sie würde sich in der nächsten Stunde einfach von
den Geschehnissen treiben lassen und war gespannt, was passieren würde. Würde
Lupescu überhaupt kommen? Schließlich war er berühmt für seinen feinen
Instinkt. Was war mit dem Fotografen? Würde er da sein? Oder würde er seinen
Plan in der von ihm gewählten Rolle des Big Brother durchziehen?
* * *
Bader blickte Killian grimmig an. Er saß geknebelt und verschnürt
auf dem Holzstuhl, auf dem Belledin der Lesung Maria Bavas gelauscht hatte.
Bader führte den Laden seit sechs Monaten. Zuvor hatte er eine Videothek in
Frankfurt betrieben, die als Informationsumschlagplatz für Geschäfte zwischen
Lupescu und einigen geschmierten Bankern gedient hatte. Davor nutzte er einen
Würstelstand am Dr.-Karl-Lueger-Ring, direkt vor dem Parlament Wiens, zu
ähnlichen Zwecken. Bader war unabhängig, wenigstens was den Ort anbelangte.
Ansonsten war er ein Gefangener der Organisation. Auch er ein Siebenbürge mit
wenigen Aussichten, dem Morast zu entfliehen. Man musste sehr strampeln, um in
dieser Welt ein ehrlicher Mensch zu bleiben, und einiges entbehren, wenn man
der Wahrheit dienen wollte. Da diente man besser Leuten wie Lupescu. Nicht aus
Liebe, sondern aus Furcht vor der Orientierungslosigkeit. Was würde aus ihm
werden, wenn der Fixpunkt Lupescu nicht mehr wäre? Die Arbeiter von Opel
konnten immerhin noch auf die Straße gehen, wenn man ihnen das Werk nahm, Bader
würde direkt in der Gosse landen ohne Paten. Und er ahnte, dass der Typ, der
ihn gefesselt und geknebelt hatte, seinem Leitstern an den Kragen wollte – und
das konnte ihm nicht passen. Deshalb behielt er seinen grimmigen Blick bei,
selbst als der Mann ihm ein Lächeln schenkte.
Mit dem Gothic-Splatter-Laden hatte Bader sich selbst übertroffen.
Einem armen Poeten aus Bukarest hatte er einen Hungerlohn für »Die Tochter
Draculas« geboten. Maria Bava war seine Erfindung. Er liebte die Zombie-Filme
von Dario Argento. Dario Argento wiederum hatte von Mario Bava gelernt, dem italienischen
Pionier des Genres. »Die Stunde, wenn Dracula kommt« war für Bader eine
Offenbarung, deswegen hatte er von Mario Bava Maria Bava abgeleitet. Aber er
ärgerte sich über Anna. Er hatte sie nie gemocht. Sie tat ihm zu klug und hatte
ihm immer gezeigt, dass er nur eine Schmeißfliege war. Zweimal schon hatten sie
zuvor zusammengearbeitet, jedes Mal hatte er für sie das Wasser zu tragen
gehabt. Er hatte es gerne getan, es war seine Arbeit – dennoch, ein
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