Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall
als er die Sushibar im »La Houle« betreut hatte. Er bestand immer noch ausschließlich aus flächendeckend tätowierter Haut und Knochen. Seine schwarze Jeans und sein Dead-Kennedys-T-Shirt schlackerten um den dürren Leib. Der Japaner hatte einen kurzen Kinnbart und einen kahlrasierten Schädel, der ihm etwas Mönchhaftes verlieh.
Als er Kieffer sah, grinste er breit. »Shibaraku desu ne! Sehr lange ist es her!« Hashimoto streckte ihm die erhobene Hand hin. Der Luxemburger klatschte brav ab. Nachdem sie sich gesetzt und Kaffee bestellt hatten, fragte Kieffer: »Und Toro, wie läuft das Geschäft?«
»Ganz okay. Ich habe meine eigene kleine Sushibar, in Saint-Germain. Und du hast doch ein Geschäft in Luxemburg, wie hieß es noch mal?«
»Les Deux Eglises. Läuft ebenfalls passabel.«
Der Kellner brachte zwölf Austern für den Japaner sowie zwei frisch aufgebrochene Seeigel. Kieffer war immer noch etwas schwummrig vom Calvados, deshalb versuchte er es mit Bückling und Bratkartoffeln.
Hashimoto beträufelte seine Austern mit Tabasco und begann, ihre Schalen zügig und unter lautem Schlürfen zu leeren. »Was treibt dich her?«
»Ich war gestern Abend bei einem Dinner im Musée d’Orsay, mit deinem Landsmann Ryuunosuke Mifune.«
Der Japaner lachte. Es klang wie das Meckern einerasthmatischen Ziege. »Vornehm, Alter. Aber ein bisschen steif, komm lieber heute Abend zu mir, dann zeig’ ich dir, dass Sushi auch Rock’n’Roll sein kann. Wie hat dir Mifunes Zeug geschmeckt?«
»Kann ich nicht sagen. Er ist während des Dinners mit Vergiftungserscheinungen ins Krankenhaus eingeliefert worden. Und jetzt ist er tot.«
Hashimoto legte seine Auster aus der Hand. »Scheiße. Das ist ja Wahnsinn. Vergiss was ich gesagt habe. Mifune war ein ganz Großer. Womit soll er sich denn vergiftet haben?«
»Tetrodotoxin, das Zeug aus dem Kugelfisch. Die Polizei sagt, es komme auch in anderen Fischen vor, und er sei bei der Zubereitung seines Omakase damit in Berührung gekommen, was ich allerdings nicht ganz verstanden habe.«
Hashimoto winkte einem der Kellner. »Meine Flasche und zwei Schälchen, bitte.« Dann wandte er sich wieder Kieffer zu.
»Der Anstand gebietet, dass wir gleich einen Osake auf diesen außergewöhnlichen Shokunin trinken, möge er in Frieden ruhen.« Der Japaner runzelte die Stirn. »Wie war das mit dem Gift?«
»Ich dachte eigentlich, du könntest mir das erklären.«
»Tetrodotoxin ist ein schweres Nervengift. Die meisten Leute kennen es aus dem Fugu, dem Kugelfisch. Aber es kommt auch in vielen anderen Meerestieren vor. Krebse, Schnecken, Seesterne, Oktopussys …«
»Die produzieren alle das gleiche Gift?«
»Ja. Nein. Das Zeug wird nicht von den Tieren selbst produziert, sondern von irgendwelchen Bakterien, die eine Symbiose mit ihnen eingehen. Glaube ich. Ich binkein Biologe, Mann! Aber jeder japanische Koch weiß, dass man mit bestimmten Meerestieren ein bisschen vorsichtig sein muss.«
Der Kellner brachte eine Sake-Flasche und zwei kleine Schalen. Hashimoto füllte sie und schob Kieffer eine hinüber. »Auf einen großen Koch. Kanpai!«
»Kanpai. Kannst du dir mal dieses Menü ansehen, Toro?«
»Ist das von gestern Abend?«
»Korrekt.«
Hashimoto studierte kurz die Speisenfolge auf der Tischkarte und lachte erneut sein Asthmaziegen-Lachen. »Muzukashii yo!«
»Wie bitte?«
»Schwierig! Ein sehr schwieriges Menü«, sagte der Sushikoch. »Sehr schlicht, aber gleichzeitig sehr kompliziert.«
»In welchen der dort aufgeführten Zutaten könnte das Gift gewesen sein?«
Hashimoto schaute ihn an. »In keiner.«
Kieffer war irritiert. »Sieh mal hier, der dritte Gang. Tako mit Abalone. Tako ist doch Oktopus, oder? Und du hast gesagt, dass Kraken dieses Nervengift enthalten können.«
»Können. Aber nicht bei Mifune.«
»Toro, jetzt lass’ dir nicht jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen!«
»Ist ja gut. Es läuft folgendermaßen: Das Tetrodotoxin injiziert ein Tako seinem Opfer, wenn er zubeißt. Es konzentriert sich also nahe seines Mauls. Da den Krakenkopf niemand isst, ist die Gefahr, was davon abzukriegen, sehr gering.«
Hashimoto schüttete Chilisoße in eine Austernschale. Die Auster war unter dem Tabasco kaum noch zu erkennen. »Mitunter kann sich das Gift jedoch auch in den Spitzen der Tentakel ansammeln. Aber nur da.«
»Passiert das häufig?«
»Verdammt selten. So selten, dass sich die meisten Sushiköche gar nicht drum scheren und das Problem einfach ignorieren.
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