Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall
betrat er den Lift und glitt von der Luxemburger Ober- in die etwa 70 Meter tiefer gelegene Unterstadt.
Dort angekommen beschleunigte Kieffer seine Schritte und ließ die asiatischen Ausflügler rasch hinter sich. Wenige Minuten später stand er vor seiner Haustür in der Tilleschgass. Es war nicht einmal Mittag, und so hatte er noch etwas Zeit, bis er sich zu seinem Restaurant begeben musste. Kieffers Spezialitätenlokal »Les Deux Eglises« lag im Stadtteil Clausen, nicht allzu weit entfernt von seinem Wohnhaus in Grund. Nichts lag wirklich weit auseinander in Luxemburg-Stadt.
Kieffer warf seine Vibiemme an, ein fauchendes Monster von einer Kaffeemaschine, und brühte sich einen Café au Lait mit drei Espressoportionen. Dann ging er in den Garten, der hinter dem alten Backsteinhaus an den FlussAlzette angrenzte und setzte sich ein wenig in die Sonne. Gerade als er von der Wärme wieder schläfrig wurde, klingelte sein Telefon. Er sah ihre Nummer im Display.
»Hallo, Valérie.«
»Bist du schon zurück in Luxemburg, Xavier?«
»Ja, ich sitze bereits im Garten. Paris ohne dich interessiert mich nicht sonderlich.«
Sie schwieg zunächst einige Sekunden, dann sagte sie: »Xavier, es tut mir leid, ich … ich wollte dich nicht … ach, Mist.«
Was hatte sie nicht gewollt? Ihn nach Paris einladen, ohne irgendeine Erklärung? Ihn gleich wieder vor die Tür setzen, ebenfalls ohne Erklärung? Das hätte Kieffer jetzt eigentlich gerne gewusst. Stattdessen sagte er: »Es ist schon okay, Val.«
»Ich werde es wiedergutmachen. Übernächstes Wochenende, nur wir beide«, versprach sie.
»Das wäre schön. Aber vielleicht nicht wieder Paris.«
»Du, ich weiß«, rief sie. Das Traurige, Bedrückte war aus ihrer Stimme gewichen, sie klang nun wie ein aufgekratztes junges Mädchen. »Wir fahren in diese, wie heißen die gleich? In die Luxemburger Alpen, von denen du erzählt hast.«
Er musste lachen. »Die Luxemburgische Schweiz? Das ist eine gute Idee. Versprich dir davon aber nicht zuviel, der höchste Hügel hat zweihundert Meter. Trotzdem ist es sehr schön dort. Sehr romantisch«, fügte er hinzu.
»Abgemacht. Ich komme am Freitag, und dann erklimmen wir euer Bergmassiv. Und noch etwas anderes: Was hast du über Mifune herausgefunden?«
Er zündete sich eine Ducal an, ließ etwas des dichten Rauchs durch den Mund entweichen, um ihn gleichdarauf wieder einzusaugen. »Eigentlich nichts Handfestes. Aber ich habe mich mit einem alten Freund getroffen, Toro Hashimoto. Er hat damals mit mir zusammen im ›La Houle‹ gearbeitet, und betreibt jetzt im Sechsten eine Sushibar.«
»Und der sagt was?«
»Er sagt«, fuhr Kieffer fort, »dass ein Sushi-Großmeister wie Mifune sich nicht mit Tetrodotoxin aus einem Kraken vergiftet.«
»Warum nicht? So etwas kann doch theoretisch jedem passieren, der mit giftigen Meerestieren hantiert.«
»Toro sagt, Mifune habe die Tentakelspitzen des Oktopus grundsätzlich nie für seine Küche verwendet – wegen der Eins-zu-eintausend-Chance, dass sich in ihnen dieses Nervengift anreichert. Dieser Spleen war in der Branche wohlbekannt, weil eine derart, sagen wir, übertriebene Pingeligkeit eher ungewöhnlich ist.«
Valérie ächzte. »Dann muss ja jemand …«
»Genau«, erwiderte Kieffer. »Jemand muss ihm das Tetrodotoxin irgendwie verabreicht haben.«
»Darf ich das an meinen Bürgermeister weitergeben, Xavier? Das wird François sicher brennend interessieren.«
»Klar, Val. Aber eine Bitte.«
»Was denn, Xavier?« Er meinte eine gespielte Ahnungslosigkeit in ihrer Stimme zu bemerken, die ihm nicht behagte.
»Halt mich da raus. Die einzigen Fische, mit denen ich mich beschäftigen möchte, sind der Stackfësch am Schäffchen und die Frell am Riesling, die ich gerade auf der Karte habe.«
»Habe ich verstanden. Du, ich muss jetzt Schluss machen. Ich drücke dich!« Dann legte sie auf.
Kieffer blieb noch etwas in der Sonne sitzen und schaute auf die Alzette. Seine Laune hatte sich merklich gebessert, sein Zorn auf Valérie war fast verflogen. Die Aussicht auf ein gemeinsames Wochenende fernab allen Trubels besänftigte ihn. Vermutlich brauchten sie einfach etwas Zeit und Ruhe, und ein abgeschiedener Gasthof im ländlichen Teil Luxemburgs war dafür genau das Richtige.
Kieffer ging in sein Wohnzimmer. Vergnügt blätterte er eine halbe Stunde in einigen Luxemburg-Reiseführern. Er suchte ein nettes Hotel sowie mehrere passable Restaurants in der Nähe von Echternach
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