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Rotes Meer

Rotes Meer

Titel: Rotes Meer
Autoren: Åke Edwardson
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Sie wedelte mit der Hand, sie wollte, dass ich kam. Sie wollte etwas von mir.

8
    D ie Schatten waren länger geworden, der Nachmittag zog sie in die Länge, von Angered nach Saltholmen. Aber bis zur Dämmerung waren es noch einige Stunden. Die Zeit von der Morgendämmerung bis zur Abenddämmerung zog sich im Juni unendlich hin, sie hörte nie auf. Die Schatten der Flutlichtmasten im Ullevi-Stadion würden sich später bis zum Korsvägen strecken und die Eklandagatan hinauf. So weit konnte Winter nicht sehen. Sekundenlang konnte er kaum die Papiere vor sich erkennen oder die Gesichter um den Tisch. Er schloss die Augen und öffnete sie wieder, und das Gefühl der Schwäche war verschwunden.
    »Was ist, Erik?«, fragte Aneta Djanali.
    »Nichts.«
    »Überarbeitet?«, fragte Halders mit unschuldiger Miene.
    »Noch nicht, Fredrik.«
    Halders sah auf die Bilder, die vor ihm lagen, die vor allen lagen. Sie zeigten einen Körper auf einem Bett. Der Körper gehörte Shahnaz Rezai. Oder hatte ihr gehört. Ihre Seele war jetzt woanders. Dieses Gesicht ist nicht mehr ihr Gesicht, dachte Aneta Djanali. Es gehört jetzt uns.
    »Wie nennt man so was?«, fragte Halders. »Hass?«
    Niemand antwortete.
    »Was sagt die Spurensicherung?«
    »Bis jetzt noch nichts«, erwiderte Winter. »Sie arbeiten daran, genau wie wir.«
    »Und was sagt Pia?«
    »Dass es mehrere mögliche Todesursachen gibt«, antwortete Ringmar.
    »Kann ich mir denken«, sagte Halders leise, während er die Bilder betrachtete. »Scheiße!« Er sah auf. »Diese Scheißkerle müssen wir fassen, und zwar schnell. Die sind lange genug auf unserer Erde gewandelt.«
    Die anderen schwiegen.
    »Ob der Fall mit den Schüssen im Laden zusammenhängt? You bet , es hängt zusammen«, fuhr Halders fort. » No way ist das ein Zufall.«
    Auch das kommentierte niemand.
    »Unmöglich«, übersetzte Halders sich selber.
    »Er kann es getan haben«, sagte Bergenhem, »Said.«
    »Mal sehen, was die Charakterstudie ergibt«, sagte Winter trocken.
    »Wir wissen doch nicht das Geringste über diese Menschen«, sagte Halders.
    »Noch nicht«, sagte Winter.
    Halders drehte das Foto um, damit er den Körper nicht mehr sehen musste.
    »Was machen wir jetzt?«, fragte er.
    »Im Augenblick findet noch die Befragung an den Haustüren statt«, sagte Ringmar.
    »Das bringt doch gar nichts«, sagte Halders. »Wir müssen auf die Leute von der Spurensicherung und Fräulein Doktor warten.« Er warf einen Blick in die Runde. »Und ich glaube, auch das wird nichts bringen. Wir werden erfahren, wie, aber nicht, warum.«
    »Das kriegen wir raus«, sagte Winter.
    Halders schüttelte den Kopf.
    »Dafür brauchen wir tausend und eine Nacht.«

    Wer sich einen ersten Überblick verschaffte, konnte meinen, es gäbe tausend und eine Gang in Göteborg, mit starker Rekrutierungsbasis in den nordöstlichen Stadtteilen: Motorrad-Gangs wie die Bandidos, Hells Angels, Red Devils, Red White Crew; Gefängnis-Gangs wie die Original Gangsters und Wolfpack; Jugendlichen-Gangs wie das X-Team und die Tiger; eng verflochtene ethnische Netze aus Albanern, Kurden, früheren Jugoslawen, Somaliern.
    Aber wenn es um Verbrechen ging, gab es eigentlich keine primär ethnisch zusammengesetzten Gruppen, vor allen Dingen bei den schweren Vergehen nicht, wie dem großen Schmuggelgeschäft, Raub, Rauschgift- und Menschenhandel. Es war das Verbrechen, das integrierte und vereinte. Geld, Gewinn, Profit. Wichtig war nicht, woher der Kriminelle stammte – es kam darauf an, wie viel er an dem Verbrechen verdienen konnte, zusammen mit anderen, denn allein ist man schwach und gemeinsam ist man stark. Verbrechen schafft eine Gemeinschaft über Nationalitätengrenzen, über Religionsgrenzen hinweg, es steht über fast jeder altmodischen und schwedischen Ethnie. Ja, das ist schwedisch, der Schwede grübelt über so etwas mehr nach als der Rauschgiftschmuggler aus Albanien, dem Iran oder Somalia. Das Verbrechertum war die Antwort auf die Frage nach Integration und Ausgrenzung. Es schaffte auch eine Art Unantastbarkeit und Geborgenheit, wenngleich eine ungewisse Geborgenheit, die jedoch besser war als ihre Alternative. Was war die Alternative? Viele wussten es nicht.
    Die Polizei versuchte, bekannte Gangmitglieder, besonders aus den nördlichen Stadtteilen, aber auch aus allen Himmelsrichtungen zum Verhör einzubestellen. Sollte es sich um eine Abrechnung im Rauschgiftmilieu handeln, dann würde es früher oder später ans Licht kommen,
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