Rotes Pferd mit schwarzer Mähne
mit allen Kräften gegen den Griff. Tom hätte Gewalt anwenden müssen, um es festzuhalten. Er fürchtete, ihm Schmerz zuzufügen, so ließ er es lieber laufen.
«Jetzt hast du verspielt, du Tor!» schalt der Onkel erbost und kam herüber, «jetzt hättest du ihm beweisen müssen, daß du der Stärkere bist!» Mit diesen Worten lief er an dem Jungen vorbei, und ehe dieser begriff, was er beabsichtigte, packte er das Fohlen und hielt es an Queens Seite fest. Es versuchte mit allen Kräften, sich zu befreien, aber der Onkel umschlang es, warf es zu Boden und kniete sich darüber.
Tom versuchte, ihn wegzuzerren, aber der Alte beachtete ihn gar nicht. «Gib mir das Ding her!» schrie er. «Ich will es lehren, daß es zu gehorchen hat!» Dabei streifte er den Halfter über das Köpfchen. Onkel Wilmer und das Fohlen waren beinahe zur gleichen Zeit wieder auf den Beinen. Das Kleine versteckte sich blitzschnell hinter seiner Mutter.
Der Onkel verließ die Koppel. Tante Emma rief nach ihnen, sie sollten zum Abendbrot kommen. Es dunkelte schon, und bald würde es Nacht sein.
Tom stand benommen da; er hätte seinem Onkel Einhalt gebieten müssen. Aber wie nur? Er hatte schnell, sicher und unerbittlich gehandelt... und er hatte das Fohlen nicht verletzt. Es stand dicht neben der Mutter, bückte sich hinunter und versuchte, Gras zu rupfen. Über dem Verlangen, sein Mäulchen bis zur Erde zu bringen, schien es den Halfter am Kopf vergessen zu haben.
Tante Emma rief ihren Neffen nochmals, jetzt in strengerem Ton, hereinzukommen. Tom führte Queen in ihre Box, das Fohlen folgte. Nachdem Tom die Stute gefüttert hatte, blieb er neben seinem Pflegling stehen, der neuerdings am Hafer Interesse zu zeigen begann. Im Stall war es dunkel, nur die Umrisse des Fohlens waren zu erkennen. Als er es streicheln wollte, wich es ihm aus. «Diesmal habe ich den Onkel nicht hindern können», murmelte er, «aber ein zweites Mal faßt er dich nicht an, da kannst du sicher sein.»
Tom wußte, daß sein Onkel getan hatte, was er für richtig hielt. Bös gemeint war es nicht. Aber es tat ihm weh, daß das Tier nun Furcht vor ihm zeigte.
Am nächsten Morgen folgte der Onkel ihm über den Hof zum Stall, wo ihm Queen freudig entgegenwieherte. Das Benehmen des Onkels verriet, daß er sein gewaltsames Eingreifen bereute.
«Ein schöner Tag heute!» rief Tom versöhnlich.
Der Onkel nickte, froh, daß sein Neffe ihm nichts nachtrug. «Ich hätte das gestern nicht machen sollen. Es ist dein Fohlen und du mußt mit ihm umgehen...» Dann ging er hinüber, um seinen Hühnern Futter zu geben.
Eilig rannte Tom zu Queen. Sie wieherte mehrmals, als er ihren Kopf streichelte, und schlug mit einem Vorderhuf gegen die Tür, weil sie nicht schnell genug auf die Weide kommen konnte. Das Fohlen sah er nicht, es versteckte sich hinter der Mutter.
Er öffnete die Tür, die Stute kam freudig heraus, das Fohlen folgte ihr. Tom wurde blaß, als er es im Tageslicht erblickte. Seine Nase war dick angeschwollen; der Nasenriemen war viel zu eng und hatte das zarte Fell verletzt. Tom sprang auf das Fohlen zu, das entsetzt entfloh. Vergeblich rannte er hinter ihm her.
Um des Fohlens willen mußte er sofort handeln. Er lief zurück in den Stall, füllte Queens Krippe mit Hafer, rief laut ihren Namen, wobei er an den leeren Behälter schlug.
Die Stute kehrte tatsächlich in den Stall zurück, an ihrer Seite trabte das Fohlen. Tom schloß die Tür und konnte jetzt auf dem engen Raum das verschüchterte Tier fassen. Seine Augen waren weit aufgerissen vor Zorn und Angst, und es schlug mit den Vorderhufen nach Tom. Nur die Verzweiflung verlieh dem Jungen die Kraft, das Tier festzuhalten und den Halfter aufzuschnallen.
Auf zitternden Beinen begab sich das Fohlen zu seiner Mutter und lehnte sich an sie. Blut floß aus der offenen Wunde.
Warum hatte er das zugelassen?
«Verbrenne das Ding!» hörte er seines Onkels Stimme von der Tür her. Gleich danach trat der Onkel in die Box. Tom schrie wild: «Faß es nicht an! Du bist schuld!» Aber er sprach nicht weiter, als er das schneeweiße Gesicht sah.
«Laß es ausbluten, das ist gut! Es heilt schneller, wenn sich Schorf bildet», riet der Onkel.
Tom nickte, ohne aufzusehen. Erst als die Tante zum Frühstück rief, verließ er den Stall. Er hatte durchaus keinen Appetit und wollte auch ihren Fragen entgehen.
Doch während der Mahlzeit merkte sie, daß etwas nicht stimmte. Tom stocherte in seinen Eierkuchen herum. Zum
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