Rotes Pferd mit schwarzer Mähne
nicht, ich hab’ bloß mal die Bilder angeschaut. Nimm es lieber mit, sonst wirft es deine Tante noch ins Feuer!» rief er Tom zu.
Tom nahm das Heft nicht, sondern legte sich wieder zu Bett, löschte das Licht und lag noch eine Weile im Dunkeln.
Während der letzten Augustwochen nahm Onkel Wilmers Interesse an Trabrennen und sein Wissen über diese Sportart zu, denn Tom versäumte nie, eine Nummer der «Hufschläge» in der Küche zu vergessen. Endlich ließ er auch einmal das Buch «Der amerikanische Traber» auf dem Küchenregal liegen. Wenn auch sein Onkel niemals zugab, darin gelesen zu haben, machte er in zunehmendem Maße Bemerkungen, die verrieten, daß er es tat. Wie hätte er sonst plötzlich über «Blutlinien» oder über die Erfolge berühmter Traber Bescheid wissen können?
Tom war das nur recht, denn bei gewissen Gelegenheiten konnte er des Onkels Hilfe gut gebrauchen. So bat er ihn, die Stute in der Koppel herumzuführen, während er mit dem Fohlen an der Leine hinterherging. Anfangs murrte Wilmer zwar, er hätte wichtigere Dinge zu tun, als hier sinnlos im Kreis herumzuwandern.
Tom führte das Fohlen hinter seiner Mutter her, dann aber lief er mit ihm einmal rechts, einmal links neben Queen, bis es eines Tages soweit war, daß es willig mitkam, wenn er es von der Mutter wegführte. Jetzt folgte es ihm an der Führ leine, wohin er zu gehen wünschte.
Briefe von Jimmy und auch von Georg trafen häufig ein. Sie meldeten, daß Symbol zwar nie an die Spitze gelangte, jedoch dank Jimmys Fahrkunst immer in die Preisränge kam. In der letzten Ausgabe der «Hufschläge» waren sogar einige Photos von Jimmy im Sulky hinter seinem Wallach. Onkel Wilmer erstaunte es, daß er und Jimmy etwa gleichaltrig waren. Tom bestätigte das. Auf den kleinen Rennbahnen in der Provinz tummelten sich in der Mehrzahl ältere, außerordentlich geschickte Fahrer.
Von diesem Tag an merkte Tom, daß sein Onkel eine neue Einstellung zu Jimmy Creech gefunden hatte.
Die erste Septemberwoche kam heran und damit das traditionelle alljährliche große Fest in Reading, der Kleinstadt, die nur zwanzig Kilometer entfernt lag. Tom hörte die Diskussion zwischen Onkel und Tante mit an, aus welchen Gründen es ihnen in diesem Jahr durchaus nicht möglich wäre, das Fest zu besuchen. Allein, ihm war bekannt, daß sie in den letzten dreiundvierzig Jahren dort niemals gefehlt hatten. Montag war der erste Festtag. Beide waren entschlossen, nicht nach Reading zu fahren. «Wir geben jedesmal zuviel Geld aus», begründete die Tante diese Entscheidung. «Außerdem ist es ja doch jedes Jahr dasselbe.» Der Onkel nickte zustimmend.
Jimmy hatte Tom das Programm der Veranstaltungen geschickt, und der Junge erzählte, daß am Mittwoch und Donnerstag einige interessante Trabrennen gelaufen würden. Nach einigem Hin und Her wurde dann doch beschlossen, schon allein Tom zuliebe, am Mittwoch hinzufahren.
«Lies endlich den Brief von Jimmy! Lies ihn laut vor!» forderte der Onkel ungeduldig.
Wir wollen zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, lieber Tom: nämlich Symbol in Reading laufen lassen, und zwar am Donnerstag, und dann Dich und die Pferde gleich mit nach Coronet heimnehmen.
«Also gut! Donnerstag fahren wir hinüber!» entschied der Onkel.
Tom las weiter:
Am Freitag treten wir alle zusammen die Rückreise an. Übrigens haben wir uns sehr gefreut über das Photo, das Du uns geschickt hast. Deine Beschreibung des Fohlens war nicht übertrieben! Wir können es kaum erwarten, es in Natur zu sehen!
Tom sah seinen Onkel an. «Ich habe ihm geschrieben, daß du mir sehr geholfen hast bei der Erziehung des Fohlens...»
«Wirklich?» fragte der Onkel sichtlich entzückt.
Als sie sich am Donnerstagmorgen kurz nach acht Uhr dem Festplatz näherten, war der Verkehr schon sehr lebhaft. Tom saß auf dem Beifahrersitz neben seinem Onkel, der so kühn in die Kurven ging, daß jeden Moment ein Zusammenstoß zu befürchten war. Sein uralter Ford quietschte und rasselte, viele Fahrer riefen ihm Verwünschungen nach.
Tom wußte die Stute mit ihrem Fohlen daheim wohlversorgt in dem gut eingezäunten Hof. Die Tür zum Stall hatte er offen gelassen, so daß sie nach Belieben ein- und ausgehen konnte. Er sah seiner Heimreise nach Coronet mit gemischten Gefühlen entgegen. Einerseits würde er das Landleben und auch Onkel und Tante, trotz ihrer Schrullen, sehr vermissen; anderseits freute er sich darauf, Jimmy Creech zuzusehen, wie er das heranwachsende Fohlen
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