Rotglut - Kriminalroman
einige Meter von dem schwerverletzten Teschen weggeführt. Nun saßen sie nebeneinander an einen Baum gelehnt und starrten ins Leere. Die ansonsten so elegante Elvira Theuerholz war kaum wiederzuerkennen. Die Haare hingen ihr strähnig ins Gesicht, als hätte sie sie wochenlang nicht gewaschen, das Make-up verschmiert, die Wimperntusche zog feine Bahnen von ihren Augen hinunter zu den Mundwinkeln. Sie sah geradezu grotesk aus.
»Frau Theuerholz, sind Sie unverletzt?«, fragte Harry behutsam, ging in die Hocke und nahm ihre Hand.
Sie nickte fast unmerklich. Dann schien ein Ruck durch sie zu gehen.
»Lassen Sie mich aufstehen. Ich muss ihm helfen.« Ihre Sprache klang durch die Zungenverletzung verwaschen. Harry half ihr auf, ließ sie zu Teschen gehen und blieb bei Irene Stolze.
Diese schüttelte ungläubig den Kopf. »Mein Gott, was ist sie nur für ein bewundernswerter Mensch. Er wollte sie töten, dabei hat er ihren Vater umgebracht, und jetzt will sie ihm das Leben retten. Ich könnte das nicht.«
»Muss sie wohl als Ärztin. Aber ehrlich gesagt, ich wüsste auch nicht, ob ich das fertigbringen würde«, gab Harry zurück. »Was ist eigentlich genau passiert?«, wollte er dann von Irene wissen.
»Hajo wollte uns beide töten. Ich habe versucht, ihn zu überreden, mich gehen zu lassen. Elvira war mir in diesem Moment völlig egal, ich hatte nur Angst um mein Leben. Schließlich ist er darauf eingegangen, aber nur, wenn ich Elvira erschießen würde.« Sie schwieg einen Augenblick und sprach dann mit monotoner Stimme wie in Trance weiter.
»Er hatte mir den linken Arm auf den Rücken gedreht, und in der rechten Hand hielt ich die Waffe. Als ich auf Elvira zielte, wurde mir klar, dass ich das nie tun könnte. Ihre Augen, ihr ganzes Gesicht schien nur aus Augen zu bestehen. Dann habe ich mich nach links gedreht, Hajo fiel mir noch in den Arm, aber ich habe im gleichen Moment abgedrückt.« In ihren Augen standen Tränen, als sie Harry ansah. »Meinen Sie, er überlebt?«
Harry Schipper schürzte die Lippen und machte ein skeptisches Gesicht. »Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht. Schussverletzungen im Bauchraum sind immer sehr schlimm. Sie haben richtig gehandelt, Frau Stolze. Sie müssen sich keine Vorwürfe machen. Hätten Sie Frau Theuerholz erschossen, wäre das glatter Mord gewesen. Für all das, was Sie früher getan haben, werden Sie sich allerdings verantworten müssen. Verraten Sie mir noch, wer damals Rüdiger Rosenberg erschossen hat?«
»Hajo«, flüsterte sie mit heiserer Stimme, dann begann sie, hemmungslos zu schluchzen. Harry sah sich genötigt, die Frau in den Arm zu nehmen, bis sie sich etwas beruhigt hatte. Er sah zu Hölzle hinüber und nickte ihm zu, als dieser den Kopf zur Seite neigte und ihn fragend ansah. Harry winkte ihn heran.
»Kommt er durch?«, fragte er, als Hölzle neben ihnen stand. Der zuckte nur mit den Schultern.
Harry Schipper löste sich sanft von Irene, ließ sie an den Baum gelehnt sitzen und richtete sich auf.
»Dieser Teschen hat den Rosenberg erschossen«, sagte er leise zu seinem Chef. »Hat sie mir eben gesagt, und ich glaube ihr. Die ist jetzt nicht imstande zu lügen.«
»Und wer hat den Stegmann umgebracht? So wie die Sache aussieht, hat der Verfassungsschutz mit seinem Tod wohl nichts zu tun gehabt. Teschen kann ihn ja kaum umgebracht haben, er war ja gar nicht im Land. War die Stolze das? Wahrscheinlich eher der Dritte im Bunde, dieser Apotheker. Wie hieß der noch gleich?«
»Knut Harmsen«, antwortete Irene mit zittriger Stimme. Sie hatte das Gespräch zwischen den beiden Polizisten verfolgt. »Ich weiß nicht, was da in ihn gefahren ist. Hajo hatte uns angerufen und erzählt, dass Stegmann lebt und auf dem Weg nach Bremen ist. Raimund wollte Geld, damit er weiter schweigt. Er wollte das Geld wohl für seine Tochter, sozusagen als Wiedergutmachung für all die Jahre, die er ihr kein Vater war. Ich wollte zunächst mit Knut in den Bürgerpark kommen, aber er hat gesagt, ich sollte zu Hause bleiben. Eigentlich wollten wir nur mit Stegmann reden, ihm klarmachen, dass es bei uns nichts zu holen gibt. Aber das ist ja wohl gründlich schiefgegangen. Knut hat die Nerven verloren.« Dann fing sie wieder an, leise zu weinen. In der Ferne konnte man das Gebell der Suchhunde hören.
*
Die drei alten Männer saßen bei einer guten Flasche Rotwein zusammen. Auf dem Tisch standen ein Korb mit frischem Baguette und eine Käseplatte, garniert mit roten und
Weitere Kostenlose Bücher