Rotglut - Kriminalroman
Kumpan an, »sonst erkennt man in diesem Schummerlicht gar nichts. Und jetzt, alter Mann, bitte recht freundlich.«
17. Juli 2010, Bremen
›Liebe Hannelore‹ , las Saskia, ›ich weiß, dass das jetzt ein Schock für dich sein muss. Es tut mir leid, wenn du nun unsere Tochter allein großziehen musst, wenn ich ganz aus deinem Leben und vor allem aus ihrem Leben verschwinden muss. Aber glaub mir, es ist besser so. Du wirst sicher Unterstützung finden. Wie ich deine Freundin Neni kenne, wird sie dir bestimmt helfen und dann bist du wenigstens nicht ganz auf dich allein gestellt. Ich weiß, dass Neni über genügend Mittel verfügt und dir zweifellos unter die Arme greifen wird. Du wirst dich fragen, warum das alles? Hannelore, ich habe, vorsichtig ausgedrückt, Mist gebaut, und zwar richtig. Nur so viel: Ich arbeite schon länger nicht nur für die Firma. Ich habe es dir nie erzählt, denn je weniger du wusstest, desto besser. Wahrscheinlich hättest du meine Beweggründe sowieso nie verstanden. Die letzten eineinhalb Jahre habe ich mehr dem ›Gemeinwohl‹ gedient, als für Ronnis Firma gearbeitet. Das muss genügen. Zerbrich dir darüber nicht nachträglich den Kopf. Du wirst nie wieder etwas von mir hören, das verspreche ich dir. Ich wünsche mir nur, dass du Saskia in dem Glauben aufwachsen lässt, dass ich ihr in den drei Jahren ein guter Vater gewesen bin. Leb wohl. Raimund.‹
Langsam faltete Saskia Uhlenbruck den leicht vergilbten Brief zusammen und schob ihn in das alte Kuvert zurück, dem sie ihn entnommen hatte. In ihren Augen schimmerte es feucht, dann holte sie tief Luft. »Was meint er damit, er hätte dem Gemeinwohl gedient?«, fragte sie ihre Mutter. Hannelore sah zu Boden und schüttelte leicht den Kopf.
»Ich weiß es nicht, Kind.« Als sie aufblickte, sah sie den Zweifel in den Augen ihrer Tochter. »Ehrlich, Saskia, dieses Mal lüge ich dich nicht an. Ich weiß es wirklich nicht. Und ich habe es schon lange aufgegeben, mir darüber Gedanken zu machen. Dein Vater war auf Nimmerwiedersehen verschwunden und ich saß da mit einem dreijährigen Kind. Wenn Neni nicht gewesen wäre …« Sie brachte den Satz nicht zu Ende und starrte ins Leere.
Simon hatte die ganze Zeit schweigend dabeigesessen und konnte kaum glauben, was er soeben gehört hatte. Das wurde ja immer schlimmer. Auch Saskia fehlten zunächst die Worte.
»Tante Neni«, sagte Saskia nach einer Weile, »ich sollte sie mal wieder besuchen. Schon lange her, dass ich dort war.« Sie stand auf. Plötzlich hielt sie es in der Nähe ihrer Mutter nicht mehr aus. »Tut mir leid, Mama. Ich muss los, ich habe noch einen Termin mit einer Patientin.«
»Wenn du willst, kannst du den Brief mitnehmen. Mir bedeutet er nichts«, bot ihre Mutter an. Saskia nickte und schob das Kuvert in ihre Umhängetasche. Sie drückte ihrem Bruder einen flüchtigen Kuss auf die Wange.
»Saskia, Mama, ich verstehe überhaupt nichts mehr.« Simon sah von einer Frau zur anderen.
»Meinst du, ich, Bruderherz?« Ratlos verließ sie das Haus und ebenso ratlos blieben Simon und Hannelore zurück.
Dem Gespräch mit ihrer Nachmittagspatientin konnte Saskia nur sehr halbherzig folgen. Sie machte sich Notizen, nickte ab und zu in die Richtung der Frau, gedanklich aber war sie nicht bei der Sache. Als sie endlich am frühen Abend mit einem Glas Cognac in ihrer Wohnung gemütlich auf dem Sofa saß, las sie den Brief noch einmal. Sie strich ihn glatt, legte ihn auf den Tisch, nahm einen ordentlichen Schluck Cognac und stellte das Glas auf den Brief. Saskia starrte auf das Glas. Durch den Boden des Kristalls sah sie die Schrift ihres Vaters wie durch eine Lupe. Das Wort ›Beweggründe‹ war auf das Doppelte vergrößert. Plötzlich kam ihr ein Gedanke. Sie sprang auf, um in ihrer Handtasche nach der Visitenkarte des zuvorkommenden Kriminalbeamten zu suchen. Peter Dahnken. Sie wählte die Nummer, doch es meldete sich nur die Mailbox. Sie hinterließ keine Nachricht und die Festnetznummer, die auf der Karte stand, versuchte sie erst gar nicht anzurufen. Sicherlich war der Mann um diese Zeit nicht mehr in seinem Büro.
*
»Ich habe übrigens schon eine Karte für die Flippers besorgt«, verkündete Harry flüsternd. Er und Peter hatten sich mit Markus Rotenboom nach Feierabend auf ein Bier an der Schlachte getroffen, um sich Gedanken über die bevorstehende Party Christianes zu machen. Schließlich mussten sie auch für Hölzles Freundin noch ein Geschenk
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