Rotglut - Kriminalroman
stoßen.
Er öffnet seine Hose, zieht sie bis auf die Knöchel, setzt sich zögernd. Nie im Leben hat er einen peinlicheren Moment erlebt als jetzt, wo er vor einem Fremden mit heruntergelassener Hose auf dem Klo sitzt, um Wasser zu lassen. Mehr ist nicht möglich, das kann er einfach nicht.
Als er fertig ist, tasten seine Hände nach Toilettenpapier.
»Das brauchst du nicht, aufstehen, Hose hoch und zurück, zack, zack.«
In seinem Gefängnisraum wird er wieder auf seinen Stuhl gesetzt, die Füße erneut eng zusammengebunden, die Hände hinter dem Rücken wieder gefesselt. Die ganze Zeit hat niemand mehr einen Ton gesagt.
»Könnte ich etwas zu trinken bekommen, vielleicht eine Kleinigkeit zu essen?« Rosenbergs Stimme bebt.
»Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.« Dieselbe Stimme, die gestern – war es gestern? – den Brief verlesen hat.
»Wir machen jetzt ein schönes Foto von dir. Sobald es entwickelt ist, kriegt es deine Familie, damit sie wissen, dass wir es ernst meinen. Dann gibt es vielleicht was zu essen. Wobei, eigentlich bist du fett genug.«
Jemand nestelt an dem Sack über seinem Kopf. Jetzt bekommt er die Möglichkeit, irgendetwas zu erspähen. Mit einem Ruck wird der Sack von seinem Kopf gezogen. Rosenberg kneift die Lider zusammen, obwohl es in diesem Raum nicht sehr hell ist. Doch zu lange hat er im Dunkeln ausgeharrt. Ein paar Mal blinzelt er vorsichtig, damit seine Augen von Tränenflüssigkeit benetzt werden und er schärfer sehen kann.
Vor ihm eine Wand mit dunklen Holzpaneelen, in der Wand eine Holztür. Das flackernde Licht kommt von einer Neonröhre, die über ihm an der Decke hängt. Drei Personen stehen vor ihm. Rosenberg konzentriert sich, um in der kurzen Zeit, in der er wahrscheinlich ohne Sichtbehinderung ist, so viel wie möglich aufzunehmen. Eine Person ist deutlich kleiner und schmaler als die beiden anderen, vermutlich das Mädchen. Alle tragen die gleiche Kleidung. Jeans, einfache Wollpullis, diese unsäglichen gemusterten Tücher, und alle haben eine Pudelmütze über das Gesicht gezogen, in die sie für Augen und Mund einen Schlitz geschnitten haben.
Niemand sagt etwas.
»Bitte, meine Familie zahlt euch jeden Preis, aber bitte, lasst mich am Leben. Ich habe doch niemandem etwas getan. Hört, ich bin noch nicht einmal in irgendeiner Partei. Und ich finde es auch schlimm, was in Chile passiert. Aber ich habe doch auf so etwas keinen Einfluss.« Rosenberg versucht, seiner Stimme einen festen und überzeugenden Klang zu geben.
Aber die drei ihm stumm zugewandten Gestalten wirken auf ihn so bedrohlich, dass ihm am Ende die Stimme fast versagt. Er flüstert die letzten Worte und lässt den Kopf auf die Brust sinken. Das Mädchen holt tief Luft und will den Raum verlassen. Einer der Männer hält sie am Arm und zieht sie zurück.
»Bleib hier!«, zischt er. »Das Ganze war deine Idee, wehe, du willst dich verpissen!«
Der zweite Mann kramt in einer weißen Tüte ohne Aufdruck. Er entnimmt ihr eine Zeitung, den Weser-Kurier, wie Rosenberg eindeutig erkennt, und einen Fotoapparat in einem dunklen Täschchen. Der andere tritt hinter Rosenberg und löst ihm die Handfesseln. Die Hände schmerzen, die Finger sind gekrümmt wie Vogelklauen. Die paar Minuten, in denen seine Hände frei waren, haben nicht gereicht, seine Finger wieder beweglich zu machen.
»Halt das vor dich.« Der Mann drückt Rosenberg die Zeitung in die Hand. Rosenberg weiß nicht, was das soll, er presst die Blätter mit seinem Unterarm an seinen Körper.
»Nicht so, Idiot, halt die Zeitung mit beiden Händen vor dich, sodass man das Datum sehen kann. Dann wissen deine Leute, dass du zumindest heute noch am Leben bist.«
Zitternd tut Rosenberg, was der Mann sagt, und hält die Titelseite des Weser-Kuriers vor sich. Sein Mut hat ihn gänzlich verlassen.
Der zweite Mann hat in dieser Zeit den Fotoapparat aus seiner schwarzen Schutzhülle befreit. Er fingert an dem kleinen Apparat herum, kennt sich offensichtlich nicht damit aus. Rosenberg starrt auf die Kamera. Das gleiche Modell hat er sich vor ein paar Wochen gekauft. Sie ist ganz neu auf dem Markt, eine Kleinbildkamera, die Minox 35 L. Wer hatte sie ihm noch empfohlen? Es war ein Rotarierfreund, daran erinnert sich Rosenberg noch, und der war ganz begeistert von den technischen Möglichkeiten dieses Winzlings. Da war sich Rosenberg sicher, diese Kamera hatten noch nicht viele Bremer gekauft.
»Setz den Blitz auf«, herrscht der Mann hinter ihm seinen
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