Rotglut - Kriminalroman
herablassend zu wirken, uninteressiert. Dennoch ist er gespannt, was Stock eigentlich von ihm will. Als sein Gegenüber wieder in Schweigen verfällt, stellt Stegmann die Frage, die ihn im Moment am meisten beschäftigt.
»Und was hab ich mit dieser Sache zu tun?« Er rutscht auf seinem Stuhl nach hinten und streckt die Beine unter den Schreibtisch.
»Die Entführer haben sich mit der Familie in Verbindung gesetzt. Sie hat dieses Foto erhalten«, er zeigte Stegmann das Bild, »und einen maschinengeschriebenen Brief, in dem ein Lösegeld von 250.000 DM gefordert wird, mit den genauen Angaben, wo und wann das Geld abzuliefern sei. Die Polizei und die Presse sollen aus dem Spiel gelassen werden.« Stock fletscht die Zähne, wohl seine übliche Art zu grinsen.
»Man könnte an einen dummen Streich denken, wenn nicht dieses Foto wäre. Es hat ungemeine Ähnlichkeit mit dem Foto des Genueser Staatsanwalts Mario Sossi. Er ist im April dieses Jahres in Italien von den Roten Brigaden entführt worden, allerdings wieder freigelassen worden, ohne dass die Forderungen der Entführer erfüllt wurden. Das Rosenberg-Foto zeigt den Bankier ähnlich angeschlagen und in vergleichbarer Haltung. Zwar ist hier keine Fahne mit irgendeinem linken Logo im Hintergrund aufgehängt, aber auf der Rückseite des Fotos, das die Zeitung erhalten hat, ist in absolut dilettantischer Weise das Logo der RAF gekritzelt: fünfzackiger Stern, dazwischen ein Maschinengewehr, das aber eher wie ein Krückstock auf Beinen aussieht.« Stock bricht in meckerndes Gelächter aus.
»Wir gehen davon aus, dass die Entführung, trotz eines gewissen Dilettantismus, einen politischen Hintergrund hat, genauer gesagt, dass Mitglieder der Baader-Meinhof-Gruppe oder eine Splittergruppe dahinter stecken. Und jetzt kommen Sie ins Spiel. Wir wollen, dass Sie das Lösegeld überbringen. Die Polizei wird rausgehalten. Dies ist auch der dringende Wunsch der Familie. Rosenberg ist ein einflussreicher Mann, er hat überall seine Verbindungen. Uns geht es darum, den Mann wieder lebendig nach Hause zu bekommen. Wir werden also brav das Lösegeld abgeben und auf keinen Fall etwas unternehmen. Nichts darf das Leben Rosenbergs gefährden.«
Stegmann wechselt die Stellung, lehnt sich jetzt nach vorn, die Arme auf die Oberschenkel gestützt.
»Und warum Sie – wir –, warum nicht die Polizei? Wie haben Sie es überhaupt geschafft, die Polizei da rauszuhalten?«
»Weil wir Mittel und Wege haben, weil wir die Fachleute für die Innere Sicherheit sind. Weil wir wissen, wie diese Leute ticken. Läuft auch nur eine Kleinigkeit schief, ist Rosenberg ein toter Mann. Aber was meinen Sie wohl, was in der Presse stehen wird, wenn unser Bankier wieder sicher in den Schoß seiner Familie zurückgekehrt ist? Die Schlagzeile wird lauten: ›Prominenter Bremer Bürger wieder zu Hause – Linker Terror chancenlos gegen den Rechtsstaat‹. Vielleicht kommen dann ja einige Spinner, Sie wissen, von welcher Sorte ich spreche, allmählich zur Besinnung. Hier geht es nicht um Späßchen à la Robin Hood, hier geht es um die Absicht, unseren Staat von innen her zu zerstören. Ihr jungen Leute wollt nicht wahrhaben, was sich hier entwickelt. Und wir sind dazu da, egal mit welchen Mitteln, den Bürgern die Augen zu öffnen. Und soll ich Ihnen ein Geheimnis verraten? Wenn der Rosenberg nicht zurückkommt, auch nicht schlimm. Dann ist die Bande nämlich bei der Bevölkerung ganz unten durch, und was Besseres kann uns gar nicht passieren.«
Stock schnauft, hat sich in Rage geredet. Stegmann rückt mit dem Stuhl etwas zurück, um nicht von den Speicheltröpfchen aus Stocks Mund getroffen zu werden.
»Und warum ich? Was ist für mich drin?«
»Weil Sie im Moment in Bremen unser Mann für besondere Stunden sind und weil Sie schon lange genug auf Ihre Chance warten mussten, Herr Reddersen. Wir sind nicht kleinlich, das wissen Sie«, beantwortet Stock alias Niederbeck seine Fragen.
*
Seit einer geschlagenen halben Stunde wartet Stegmann nun auf dem Waldparkplatz. Wenn nicht bald etwas geschieht, wird es schon wieder hell werden. Um drei Uhr in der Nacht soll die Geldübergabe stattfinden. Stock hat ihm nach dem Gespräch einen Autoschlüssel in die Hand gedrückt und ihm erklärt, dass er am Tag der Übergabe in der Knochenhauerstraße vor dem Bürogebäude einen schwarzen VW Passat vorfinden wird, mit dem er sich zum Treffpunkt begeben soll. Er solle eine halbe Stunde vor dem verabredeten Termin
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