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Rotglut

Rotglut

Titel: Rotglut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liliane u Rist Biggi Skalecki
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Solidarität wenigstens noch in einen Hungerstreik treten oder ein Haus besetzen. Wie heißt der Typ noch mal, der kürzlich gerade einen Hungerstreik angemeldet hat? Christian Klar, der mit seiner Aktion auf die Isolation der politischen Gefangenen aufmerksam machen will. In Stammheim sind die Terroristen auch seit dem 8. Mai im Streik.
    Stegmann seufzt. Wahrscheinlich wird Hannelore ihm auch das alles ausreden wollen, und wenn er sich doch durchsetzen würde und vor seiner Haustür im Hungerstreik sitzt, dann wird sie alle Stunden mit einem knusprigen halben Hähnchen bei ihm auftauchen. Das Wasser würde ihm im Mund zusammenlaufen und aus wär’s mit dem Hungerstreik.
    In Gedanken versunken, geht er den Weg von der Neustadt in die Altstadt, seinen Blouson locker über die Schulter gehängt. Er blinzelt in die Sonne und nimmt die Jacke von der Schulter, um aus der Innentasche seine Sonnenbrille – eine Pilotenbrille; wie Hannelore sagt, eine Angeber-Brille – herauszukramen. Es ist ein billiger Nachbau, aber irgendwann wird er sich eine echte Ray-Ban Aviator leisten. Bei dieser Brille ist es ihm egal, ob er damit aussieht wie ein Kapitalist, er findet sie einfach genial.
    Nach Überquerung der Weser ist er, dank seines flotten Schrittes, wenige Minuten später in der Knochenhauerstraße.
    Er kann sich noch gut daran erinnern, wie öde es hier noch vor ein paar Jahren ausgesehen hat. Doch seitdem im letzten Jahr das Hertie-Kaufhaus nur ein paar Meter entfernt fertiggestellt worden war, haben sich hier etliche Geschäfte angesiedelt.
    An einem nichtssagenden viergeschossigen Geschäftshaus entdeckt Stegmann das Schild ›Stock-Seiden-Import‹. Das Gebäude ist aus den fünfziger Jahren und besitzt eine wunderschöne alte geschnitzte Haustür. Wahrscheinlich der letzte Rest vom Vorgängerbau, schätzt Stegmann. Im Treppenhaus riecht es muffig, so als wäre seit Tagen nicht mehr durchgelüftet worden. Ein Blecheimer mit Schaufel und Handfeger steht verlassen unter dem Treppenabsatz. Beschwingt springt Stegmann die Treppe hoch, immer zwei Stufen auf einmal nehmend. In der zweiten Etage gibt es zwei Parteien: den Seiden-Stock auf der linken Seite, rechts eine Zahnarztpraxis.
    Stegmann bohrt seinen Zeigefinger in den schwarzen Plastikknopf, ein dumpfes Summen ertönt und die Glastür springt auf. Wenn Stock eine Sekretärin oder sonstige Mitarbeiter hat, so sind diese heute wohl ausgeflogen, und das offensichtlich mitsamt dem Mobiliar. Stegmann hat, bereits die Hand zu einem kurzen Gruß erhoben, in das erste Zimmer geschaut, das, mit Ausnahme von zwei Pappkartons, leer steht. Auch im Nachbarraum gähnende Leere. Noch bevor sich Stegmann weiter wundern kann – womöglich zieht die Firma erst ein –, öffnet sich die letzte Tür auf der linken Seite und ein hochgewachsener Mann mittleren Alters nickt ihm zu. Sein Körper wirkt drahtig, ja, fast asketisch. Graues Haar, extrem kurz geschnitten – ein richtiger Bürstenhaarschnitt –, grauer Anzug, ein dunkelblaues Tüchlein in der Brusttasche, ein Bremer Kaufmann wie aus dem Bilderbuch.
    »Herr Stegmann, wenn ich mich nicht irre? Bitte treten Sie doch ein und nehmen Sie Platz. Einen Cognac?«
    Stegmann ist etwas irritiert. »Nein danke, nicht bei dieser Hitze«, sagt er und schüttelt den Kopf.
    Wahrscheinlich ist dies Herr Stock, der Seidenmann, aber vorgestellt hat er sich nicht.
    Das Büro des Herrn Stock ist mehr als karg eingerichtet. Ein plumper brauner Holzschreibtisch, dahinter ein Ledersessel – Kunstleder? – neueren Datums, für den Gast ein einfacher Holzstuhl. Unter dem Schreibtisch steht ein leerer Papierkorb, auf dem Schreibtisch ein altmodisches Bakelit-Telefon, ein grauer Leitz-Aktenordner, ein Metallbecher mit Stiften. Dunkelgraue Lamellenvorhänge aus Aluminium schließen das Sonnenlicht aus dem Zimmer aus. Lediglich durch die beiden mittleren Ritzen zwängen sich ein paar Strahlen durch und bescheinen die Wand hinter Stegmann. An dieser hängt ein verblasster Kalender, wohl mit zwölf Tierfotos, denn auf dem obersten Kalenderblatt blickt Stegmann eine Kuh mit Kälbchen aus großen Augen an. Ein Kalender der Raiffeisenbank Verden aus dem Jahr 1971.
    Stegmann setzt sich und rutscht unruhig auf dem Holzstuhl herum. Ein merkwürdiges Gefühl beschleicht ihn.
    »Herr Stock, es geht Ihnen um ein Sicherheitskonzept für Ihre Villa in …?« Stegmann wartet ab, aber es kommt keine Antwort von Stock.
    »Nun ja, wir haben da verschiedene

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