Rotglut
Wandmalereien zu erkennen, die wir nun eindeutig dem Haus Ihrer Eltern zuordnen können. Nun fragen wir uns natürlich, ob Sie uns dazu etwas sagen können? Erinnern Sie sich noch, wo sich Ihre Eltern im Sommer 1974 aufhielten?«
»Und wo waren Sie? Haben Sie noch dort gewohnt?«, fügte Harry Schipper hinzu.
»Mein Gott, das ist ewig her. Das ist ja unfassbar, dass man diesen armen Mann in meinem Elternhaus gefangen gehalten hat!« Ungläubig schüttelte sie den Kopf. Sie überlegte und rieb sich die Schläfe. »Warten Sie mal. Sommer 1974, sagten Sie. Zu diesem Zeitpunkt habe ich bereits in einer WG gelebt. Meine Eltern waren immer viel unterwegs gewesen. Bestimmt auch damals.« Sie schwieg für einen Augenblick, senkte den Blick zu Boden. Dann hob sie den Kopf und sah Hölzle an. »Sie müssen in Indien gewesen sein. Ich erinnere mich daran, dass mein Vater im Rahmen einer wissenschaftlich-technologischen Zusammenarbeit dorthin gereist ist. Indien war ja einer der ersten Staaten, die Deutschland nach dem Krieg diplomatisch anerkannten. Meine Mutter ist, wie fast immer, mitgefahren, und es gab Streit, weil sie dieses Mal drei Monate bleiben wollten und ich mich weigerte, mich um das Haus zu kümmern.«
»Haben Ihre Eltern bei ihrer Rückkehr irgendetwas Auffälliges bemerkt?«, fragte Harry und widmete sich nebenbei weiteren Fläschchen, die, hübsch angeordnet, auf einem kleinen Tisch mit Mosaikmuster standen.
Irene Stolze schüttelte den Kopf. »Das kann ich Ihnen beim besten Willen nicht sagen, ich hatte nicht so viel Kontakt zu meinen Eltern damals. Leider. Ich bereue das heute, denn sie sind ein Jahr später ums Leben gekommen, was ich Ihrem Kollegen gestern schon sagte. Flugzeugabsturz. Die Wandmalereien, die Sie eben erwähnt haben, befinden sich übrigens im Keller. Meine Eltern hatten Jahre zuvor einen Raum ausmalen lassen, um ihn als Partykeller zu nutzen. Vielleicht war ihnen das Bild irgendwann peinlich, auf jeden Fall wurde der Keller so gut wie nicht mehr benutzt. Meine Mutter bevorzugte dann ihren Wintergarten, um mit Gästen zu feiern. Ich kann mich nicht entsinnen, dass meinen Eltern was aufgefallen ist. Das hätten sie erwähnt. Und wie gesagt, so oft hat man diesen Raum auch nicht genutzt. Eigentlich war er völlig überflüssig.«
Hölzle rieb sich das Kinn. »Aber sagen Sie, wer hat sich dann um das Haus gekümmert, wenn Sie es nicht getan haben? Gab es irgendein Service-Unternehmen, das die Villa und den Garten in Schuss gehalten hat oder ein Auge darauf hatte?«
Irene Stolze zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich glaube, niemand Bestimmtes war dafür verantwortlich. Meine Eltern haben wohl darauf vertraut, dass die Nachbarn sich schon rühren würden, falls was passieren würde. Herr Hölzle, mich würde aber schon interessieren, was das alles mit einem aktuellen Fall, wie Sie sagen, zu tun hat.«
Hölzle hob die Augenbrauen und legte den Kopf etwas schief. »Tut mir leid, Frau Stolze, darüber darf ich Ihnen leider keine Auskunft geben.«
In diesem Moment schwang die Tür auf und erneut ertönte das sanfte Klingen. Eine junge Frau mit einem Kind im Tragetuch kam herein. Irene Stolze stand auf. »Mehr kann ich Ihnen nicht sagen. Ich muss mich jetzt um meine Kundschaft kümmern, wenn Sie erlauben.« Sie verabschiedete sich nicht von den beiden Beamten, sondern wandte sich direkt ihrer Kundin zu, die bereits ein Buch über ayurvedische Babymassage aus dem Regal gezogen hatte.
In der Tür drehte sich Hölzle noch einmal um. »Sie erwähnten, dass Sie damals in einer WG wohnten. Mich würde noch interessieren, wer die Personen waren, die mit Ihnen zusammengewohnt haben.« Er wusste eigentlich überhaupt nicht, warum er das fragte, aber es erschien ihm plötzlich irgendwie wichtig.
Irene Stolze ließ die Kundin allein vor dem Bücherregal stehen und kam zurück zu Hölzle.
»Ich weiß zwar nicht, wofür das gut sein soll, aber wir lebten in einer Fünfer-WG. Meine Mitbewohner waren Hajo, Judith, Anna und Knut.« Sie zählte mit den Fingern durch. »Zwischendurch wohnten noch zwei weitere Studentinnen dort. Aber nur für ein paar Wochen, bis sie eine eigene Wohnung gefunden hatten. Wie die beiden hießen?« Sie schloss die Augen.
»Resi? Nein, Gisi, ja, Gisi und Tina, ein Frauenpärchen. Fragen Sie mich aber nicht nach Nachnamen, die habe ich nach all den Jahren vergessen, weil wir seit damals auch keinen Kontakt mehr haben. Es ist ein Wunder, dass mir überhaupt noch die
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