Rotglut
»Hallo zusammen, ihr seid nicht zu überhören. Simon, ich habe mitbekommen, dass du wegen mir nun Stress hast, besser gesagt, wegen der Sache mit meinem Vater. Das tut mir leid.« Sie legte ihm sanft die Hand auf den Arm. Ihr Bruder trat einen Schritt zurück.
»Stress? Stress ist wohl nicht der passende Ausdruck. Bei mir ist die Kacke am Dampfen, wenn du’s genau wissen willst. Theuerholz will, dass Jana und ich die Hochzeit verschieben, am liebsten wäre ihm wahrscheinlich, wir würden uns trennen. Und das nur, weil dein Erzeuger meinte, nach Jahrzehnten noch einmal nach Bremen kommen zu müssen, und mit dieser Aktion alle in helle Aufregung versetzt. Wäre er doch geblieben, wo auch immer er gewesen ist in all den Jahren. Noch besser wäre gewesen, er wäre tatsächlich bei dem Unfall verreckt.«
Saskia verpasste ihm eine saftige Ohrfeige. »Auch wenn ich ihn nicht kannte oder besser, mich nicht an ihn erinnern kann, aber so redet man über niemanden«, sagte sie eisig.
Zuerst wollte ihr Bruder auffahren, doch dann rieb er sich die Wange. »Mann, du hast aber ’ne gute Handschrift, das muss man dir lassen.« Er grinste, wieder ganz der Simon, den sie kannte. »Es tut mir leid, das hätte ich nicht sagen dürfen.«
Hannelore Uhlenbruck hatte die ganze Zeit schweigend danebengestanden. Nun setzte sie sich schwer in einen der bequemen Korbstühle. »Was führt dich her, Saskia?«, fragte sie, um das Thema zu wechseln. Ihre Kinder setzten sich ebenso, nun, nachdem die Atmosphäre wieder weniger aufgeladen war.
»Ich wollte dich noch einmal nach dem Brief fragen. Sei ehrlich. Hast du ihn wirklich verbrannt? Ich kann nämlich nicht glauben, dass du das getan hast.« Saskia sah ihre Mutter durchdringend an. Diese sah zu Boden und schwieg. ›Also doch‹, dachte Saskia. ›Ich hab’s doch gewusst.‹
»Was für einen Brief?«, fragte Simon, interessiert von einer zur anderen blickend.
»Der Brief, den mein Vater unserer Mutter geschickt hat, nachdem er seinen Tod vorgetäuscht hatte«, erklärte Saskia. »Angeblich gibt’s den nicht mehr.«
»Mama?« Simon fasste seine Mutter an der Schulter. »Mama, gib ihr eine Antwort. Gibt es diesen Wisch noch?«
Hannelore Uhlenbruck wusste, wann sie verloren hatte. Noch eine Lüge würde ihr Saskia nicht abkaufen. Sie nickte. »Ja«, flüsterte sie. Sie stemmte sich aus dem Sessel hoch wie eine alte Frau, die eine schwere Last zu tragen hat. »Ich werde ihn holen.«
*
Peter Dahnken beschäftigte sich mit der Suche nach Sicherheitsfirmen, die in den siebziger Jahren in Bremen tätig gewesen waren. Angeblich konnte sich Hannelore Uhlenbruck nicht mehr an den Namen der Firma, für die Raimund Stegmann tätig gewesen war, erinnern. Drei Firmen, die Sicherheitsdienste anboten und bereits seit mehr als vierzig Jahren im Geschäft waren, hatte er gefunden und alle bereits danach befragt, ob ein Mann namens Stegmann bei ihnen in den 70ern beschäftigt gewesen war.
›Wir melden uns bei Ihnen, aber das dauert, schließlich gilt die Aufbewahrungspflicht nur für zehn Jahre‹, war die übereinstimmende Antwort gewesen. Die Wahrscheinlichkeit ging eher gegen null. Welche Firma bewahrte denn über 36 Jahre lang Unterlagen von ehemaligen Mitarbeitern auf? Aber man durfte nichts unversucht lassen. Peter hoffte, dass sich vielleicht ein langjähriger Mitarbeiter an Stegmann erinnerte.
Er öffnete sein E-Mail-Programm und stellte erfreut fest, dass er und Harry eine Nachricht von der Elfenbeinküste bekommen hatten.
›Sehr geehrter Herr Kriminaloberkommissar Dahnken,
M. Yves Renard ist hier nie auffällig geworden. Wir haben die Steuererklärungen der letzten Jahre von M. Renard überprüft, ebenso wie seine Konten. Nachfragen bei seinem Mitarbeiter Joseph Kutesa, ob M. Renard zusätzlich Geld durch andere Tätigkeiten verdient hat, blieben negativ. M. Kutesa versicherte glaubhaft, dass die Strandbar gerade genug zum Leben für ihn und M. Renard abgeworfen hat und dass M. Renard leider auch zu krank gewesen sei, um einer zusätzlichen Arbeit nachzugehen. Die Antwort auf das ›Woher‹ der mehreren Tausend Euro, die M. Renard laut Ihren Angaben bei sich hatte, müssen wir Ihnen schuldig bleiben. Hochachtungsvoll, Jacques Durand.‹
Peter Dahnken kratzte sich seinen Dreitagebart und öffnete die nächste Cola-light-Flasche. Die Hitze der letzten Zeit hatte deutlich nachgelassen und eine frische, angenehme Brise wehte zum gekippten Fenster herein.
Er klickte auf
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