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Roth, Philip

Titel: Roth, Philip Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nemesis
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Gegenteil: Was du tust, macht sie besser. Du tust etwas Nützliches. Du trägst zum Wohl der Gemeinschaft bei. Es ist wichtig, dass das Leben im Viertel weitergeht, sonst sind nicht nur die Kranken und ihre Familien die Opfer, sondern ganz Weequahic. Auf dem Sportplatz kannst du helfen, die Panik auf Abstand zu halten, indem du die Aufsicht über die Jungen übernimmst, wenn sie ihre Lieblingsspiele spielen. Die Alternative wäre, sie irgendwo anders hinzuschicken, wo sie nicht unter deiner Aufsicht wären. Die Alternative wäre, sie zu Hause einzusperren und ihnen Angst zu machen. Ich bin dagegen, jüdischen Kindern Angst zu machen. Ich bin dagegen, Juden Angst zu machen. Das hat es in Europa gegeben, und darum sind die Juden von dort geflohen. Aber hier sind wir in Amerika. Je weniger Angst, desto besser. Angst entmannt uns. Angst entwürdigt uns. Dafür zu sorgen, dass es weniger Angst gibt - das ist deine und meine Aufgabe.«
    Es waren jetzt mehr Sirenen zu hören, im Westen, wo das Krankenhaus war. Hier, wo sie saßen, waren nur Grillen und Glühwürmchen und viele verschiedene duftende Blumen jenseits des Fliegengitters, die, da Mrs. Steinberg am Meer war, höchstwahrscheinlich nach dem Abendessen von Dr. Steinberg gegossen worden waren. Eine mit Obst gefüllte Schale stand auf der Glasplatte des Korbtischs vor dem Korbsofa, auf dem Mr. Cantor saß. Dr. Steinberg nahm sich ein Stück und lud seinen Gast ein, sich ebenfalls zu bedienen.
    Mr. Cantor wählte einen makellosen Pfirsich, so groß wie das Prachtexemplar, das Dr. Steinberg genommen hatte, und in Gesellschaft dieses durch und durch vernünftigen, beruhigenden Mannes und in dem herrlichen Gefühl der Sicherheit, das er verströmte, aß er den Pfirsich und genoss jeden köstlichen Bissen. Dann beugte er sich vor, gänzlich unvorbereitet, aber nicht imstande, sich zurückzuhalten, legte den Kern in den Aschenbecher, presste die klebrigen Handflächen zwischen den Knien zusammen und sagte: »Ich möchte Sie und Ihre Frau um Erlaubnis bitten, Marcia fragen zu dürfen, ob sie meine Verlobte sein will.«
    Dr. Steinberg lachte laut, hob die Pfeife hoch, als wäre sie eine Trophäe, sprang auf und machte ein paar Tanzschritte. »Die hast du!«, rief er. »Ich könnte nicht erfreuter sein. Und Mrs. Steinberg wird sich genauso freuen. Ich werde sie gleich anrufen. Und dann sprichst du mit ihr und sagst es ihr selbst. Ach, was für eine Freude! Wie wunderbar, Bucky! Natürlich hast du unsere Erlaubnis! Marcia hätte sich keinen besseren Mann aussuchen können. Was für eine glückliche Familie wir sind!«
    Mr. Cantor war verblüfft, dass Dr. Steinberg seine Familie als glücklich bezeichnete. Er spürte, dass er vor Aufregung errötete, sprang auf und schüttelte Dr. Steinberg die Hand. Bis zu diesem Abend hatte er vorgehabt, nicht vor dem Jahreswechsel, wenn seine Position finanziell etwas gesicherter war, von Verlobung zu sprechen. Er sparte noch immer auf einen Gasherd, der den Kohleherd ersetzen sollte, auf dem seine Großmutter kochte, und hatte ausgerechnet, dass er bis zum Dezember genug Geld zusammenhaben würde, sofern er nicht einen Verlobungsring kaufen müsste. Was ihn bewogen hatte, diesen Schritt jetzt zu tun, war der Trost, den er von ihrem gütigen Vater erfahren hatte - das und der gemeinsame Genuss dieser vollkommenen Pfirsiche auf der hinteren Veranda. Was ihn dazu bewogen hatte, war die Gewissheit, dass Dr. Steinberg offenbar imstande war, durch seine bloße Gegenwart die Frage zu beantworten, die niemand sonst beantworten konnte: Was zum Teufel ist eigentlich los und wie kommen wir da wieder heraus? Und noch etwas hatte ihn bewogen, Marcias Vater um die Erlaubnis zu bitten, sich mit ihr verloben zu dürfen: das Geheul der Krankenwagensirenen, die an diesem Abend kreuz und quer durch Newark fuhren.
     
    Der nächste Morgen war der bislang schlimmste. Drei weitere Jungen waren an Kinderlähmung erkrankt: Leo Feinswog, Paul Lippman und ich, Arnie Mesnikoff. Auf dem Sportplatz war die Zahl der Fälle über Nacht von vier auf sieben gestiegen. Unter den Krankenwagen, deren Sirenen Mr. Cantor und Dr. Steinberg am vorangegangenen Abend auf der hinteren Veranda gehört hatten, mussten welche gewesen sein, die einige seiner Jungen in eine Klinik gebracht hatten. Von diesen drei neuen Fällen erfuhr er am Morgen, als die anderen Jungen mit ihren Handschuhen erschienen, um Baseball zu spielen. An einem normalen Wochentag hätte er zwei Spiele

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