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Roth, Philip

Titel: Roth, Philip Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nemesis
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besteht die geringe Möglichkeit, dass Sie ein infizierter, aber gesunder Überträger sind. Das wäre allerdings äußerst ungewöhnlich. Im Allgemeinen entspricht das virulente auch dem klinischen Stadium. Aber um Sie zu beruhigen und hundert Prozent sicher zu gehen, sollten wir bei Ihnen eine Rückenmarkspunktion vornehmen und etwas Flüssigkeit zur Untersuchung entnehmen. Gewisse Veränderungen der Rückenmarksflüssigkeit sind ein Anzeichen für Polio. Das sollten wir am besten sofort tun, damit Sie sich keine Sorgen mehr machen müssen. Sie können mit mir zum Krankenhaus fahren, und anschließend rufen wir Carl an, damit er Sie abholt.«
    Bucky rannte zum Badeplatz, sagte den älteren Betreuern, er werde heute Morgen nicht da sein, setzte einen von ihnen bis zu seiner Rückkehr als seinen Vertreter ein und eilte dann zurück zu Dr. Huntley, um mit ihm nach Stroudsburg zu fahren. Wenn die Untersuchung doch nur ergab, dass ihn keine Schuld traf! Wenn sich doch nur herausstellte, dass ihm nichts vorzuwerfen war! Sobald die Untersuchung vorüber und alles in Ordnung war, würde er auf dem Rückweg zum Lager in das kleine Juweliergeschäft in Stroudsburg gehen und den Verlobungsring für Marcia kaufen. Er hoffte, das Geld würde für einen echten Stein reichen.
    Später am Tag begannen die Wagen einzutreffen, die Kinder abholten. Das ging bis in die frühen Abendstunden und setzte sich am nächsten Tag fort, so dass achtundvierzig Stunden nach Mr. Blombacks Bekanntmachung, dass einer der Betreuer an Polio erkrankt sei, mehr als hundert der insgesamt zweihundertfünfzig Kinder von ihren Eltern abgeholt worden waren. Am Tag danach stellte man bei zwei anderen Jungen aus Buckys Hütte - einer davon war Jerome Hochberger, der Junge, der bei der Indianernacht den Bären gespielt hatte - Polio fest, und das Lager wurde umgehend geschlossen. Weitere neun Kinder erkrankten erst zu Hause und mussten in Krankenhäuser eingeliefert werden, darunter auch Marcias Schwester Sheila.

 
3 Wiedersehen
     
    Mr.  C antor tauchte nie wieder in unserem Viertel auf. Das Untersuchungsergebnis des Krankenhauses in Stroudsburg war positiv, und er wurde, obwohl er für weitere achtundvierzig Stunden keinerlei Symptome zeigte, sofort auf die Isolierstation gebracht, wo er keinen Besuch haben durfte. Und dann brach die Krankheit schließlich aus, mit entsetzlichen Kopfschmerzen, Erschöpfung, schwerer Übelkeit, hohem Fieber und starken Muskelschmerzen, nach weiteren achtundvierzig Stunden gefolgt von Lähmungserscheinungen. Es dauerte drei Wochen, bis er keine Katheter und Einlaufe mehr brauchte und man ihn in ein oberes Stockwerk verlegte, wo seine Arme und Beine, die anfangs gelähmt waren, mit Packungen aus in Dampf erhitzter Wolle behandelt wurden. Täglich gab es vier solcher qualvoller Anwendungen, die vier bis sechs Stunden dauern konnten. Glücklicherweise war die Atemmuskulatur nicht betroffen, so dass ihm die eiserne Lunge erspart blieb - eine Möglichkeit, die er mehr fürchtete als alles andere. Als man ihm sagte, Donald Kaplow befinde sich im selben Gebäude wie er und werde mittels einer eisernen Lunge am Leben erhalten, erfüllte ihn das mit Trauer und Schmerz. Donald der Turmspringer, Donald der Diskuswerfer, Donald der zukünftige Pilot konnte seine Glieder nicht mehr bewegen und war zum Atmen auf eine Maschine angewiesen!
    Schließlich wurde Mr. Cantor in einem Krankenwagen zur Rehabilitation nach Philadelphia gebracht, wo die Epidemie ebenfalls wütete. Die Stationen im Sister Kenny Institute waren so belegt, dass er von Glück sagen konnte, ein Bett bekommen zu haben. Dort wurden weiterhin warme Packungen verabreicht, und es gab lange, anstrengende Behandlungen, bei denen die kontrahierten Muskeln der Glieder und des Rückens, die infolge der Lähmung völlig verkrampft waren, von Pflegern schmerzhaft gedehnt und gestreckt wurden, um sie »umzuerziehen«. Er verbrachte vierzehn Monate in diesem Zentrum und konnte anschließend den rechten Arm voll und die Beine teilweise gebrauchen; die Torsion der Lendenwirbelsäule musste einige Jahre später operativ durch eine Knochenverpflanzung und Stahlklammern an den Wirbeln korrigiert werden. Nach dieser Operation verbrachte er sechs Monate in einem Gipsbett, Tag und Nacht gepflegt von seiner Großmutter. In diesem Rehabilitationszentrum war er, als im April 1945 Präsident Roosevelt überraschend starb und das ganze Land trauerte. Dort war er, als Deutschland im Mai

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