Roth, Philip
Krankenhaus zu bringen. Dort hat man Donald gründlich untersucht und festgestellt, dass er Polio hat. Seine Eltern sind aus Hazleton gekommen, um bei ihm zu sein. Er wird jetzt im Krankenhaus behandelt. Dr. Huntley, der Arzt unseres Camps, ist hier und möchte ein paar Worte an euch richten.«
Die Kinder und die Betreuer waren natürlich entsetzt zu erfahren, dass sich alles im Lager - und in ihrem Leben - mit einemmal verändert hatte, und warteten still darauf, was der Doktor zu sagen hatte. Er war ein freundlich wirkender, gelassener Mann mittleren Alters und seit Gründung des Camps der zuständige Arzt. Seine beruhigende, nüchterne Ausstrahlung wurde durch die randlose Brille, das schüttere weiße Haar und das offene, blasse Gesicht noch verstärkt. Im Gegensatz zu allen anderen Anwesenden trug er einen Anzug, ein weißes Hemd, eine Krawatte und schwarze Schuhe.
»Guten Morgen. Für diejenigen unter euch, die mich noch nicht kennen: Ich bin Dr. Huntley. Ich weiß, dass ihr, wenn ihr euch krank fühlt, eurem Betreuer Bescheid sagt, der dann mit euch zu Miss Rudko oder Miss Southworth, den Krankenschwestern des Camps, oder, falls nötig, zu mir geht. So sollte es auch in den kommenden Wochen sein. Wenn ihr irgendwelche Anzeichen von Krankheit feststellt, sagt ihr es wie sonst eurem Betreuer. Wenn ihr ein Kratzen im Hals habt, einen steifen Nacken, Übelkeit, sagt ihr es eurem Betreuer. Wenn ihr Kopfschmerzen habt oder euch fiebrig fühlt, sagt ihr es eurem Betreuer. Wenn ihr euch ganz allgemein nicht wohl fühlt, sagt ihr es eurem Betreuer. Er wird mit euch zu einer der Schwestern gehen, die euch untersuchen und mich benachrichtigen wird. Denn ich will, dass ihr alle gesund bleibt und die restlichen Wochen des Sommers genießt.«
Nach diesen wenigen beruhigenden Worten setzte Dr. Huntley sich wieder, und Mr. Blomback erhob sich abermals. »Ich werde im Lauf des Vormittags sämtliche Eltern anrufen und sie über die Lage informieren. Die Oberbetreuer kommen nach dem Frühstück in mein Büro«, verkündete er. »Für alle anderen war's das fürs erste. Das Tagesprogramm bleibt unverändert. Lauft los, viel Spaß - es ist ein herrlicher Tag.«
Marcia begab sich mit den drei anderen Oberbetreuern in Mr. Blombacks Büro, während Bucky, anstatt zum Badeplatz zu gehen, wie er es eigentlich vorgehabt hatte, zu seiner eigenen Überraschung Dr. Huntley nacheilte, der im Begriff war, in seinen am Fahnenmast geparkten Wagen zu steigen, um in die Stadt zurückzufahren.
Hinter ihm wurde sein Name gerufen. »Bucky! Warte! Warte auf uns!« Es waren die Steinberg-Zwillinge, die ihm nachrannten. »Warte!«
»Ich kann nicht - ich muss mit Dr. Huntley sprechen.«
»Bucky«, sagte eines der Mädchen und nahm seine Hand, »was sollen wir denn bloß tun?«
»Ihr habt doch gehört, was Mr. Blomback gesagt hat: Das Tagesprogramm bleibt unverändert.«
»Aber die Polio!« Als die beiden ihn umarmen und die Köpfe trostsuchend an seine breite Brust legen wollten, wich er unwillkürlich zurück, um nicht in die zwei identischen, von Panik gezeichneten Gesichter zu atmen.
»Macht euch keine Sorgen«, sagte er. »Dazu besteht überhaupt kein Grund. Sheila, Phyllis - ich muss mich beeilen, es ist wirklich sehr wichtig.« Er ließ sie, die sich aneinanderdrückten, ungetröstet stehen.
»Aber wir brauchen dich!«, rief ihm eine nach. »Marcia ist bei Mr. Blomback.«
»Heute Nachmittag!«, rief er zurück. »Versprochen! Wir sehen uns bald.«
Dr. Huntley hatte die Wagentür geöffnet und war im Begriff einzusteigen. »Dr. Huntley! Ich muss mit Ihnen reden! Ich habe die Aufsicht über den Badeplatz der Jungen. Bucky Cantor.«
»Ja, Bill Blomback hat Sie erwähnt.«
»Ich muss mit Ihnen reden, Dr. Huntley. Ich bin erst vergangenen Freitag von Newark hergekommen. Vorher habe ich auf einem Sportplatz im Viertel Weequahic gearbeitet, und dort gab es eine Polioepidemie. Donald und ich haben nach dem Essen am Sprungturm trainiert. Wir haben jeden Tag beim Mittagessen nebeneinander gesessen. In der Hütte waren wir auf engem Raum. In der Indianernacht saß er neben mir. Und jetzt hat er Kinderlähmung. Könnte es sein, dass er sie von mir hat, Dr. Huntley? Und dass ich auch andere anstecke? Wäre das möglich?«
Dr. Huntley war ausgestiegen, um die verzweifelten Worte, die dieser gesund und stark wirkende junge Mann hervorsprudelte, besser hören zu können. »Wie geht es Ihnen?«, fragte er.
»Ich fühle mich gut.«
»Nun, es
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