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Roth, Philip

Titel: Roth, Philip Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nemesis
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kapitulierte und im August die beiden Atombomben über Hiroshima und Nagasaki abgeworfen wurden und Japan wenige Tage später um Frieden bat. Der Zweite Weltkrieg war vorüber, sein Freund Dave würde nach beinahe vier Jahren unversehrt zurückkehren, das Land jubelte, und er lag noch immer im Krankenhaus, verkrüppelt durch Polio.
    Im Rehabilitationszentrum war er einer der wenigen, die nicht bettlägerig waren. Nach einigen Wochen bekam er einen Rollstuhl, auf den er, als er nach Newark zurückkehrte, zunächst angewiesen war. Dort blieb er in ambulanter Behandlung und konnte schließlich wieder alle Muskeln seines rechten Beins bewegen. Die Rechnungen waren astronomisch hoch - es waren tausende und abertausende von Dollars -, doch sie wurden vom Sister Kenny Institute und dem March of  Dimes bezahlt.
    Er unterrichtete nie mehr Sport an der Chancellor Avenue School, er führte nicht mehr die Aufsicht über den Sportplatz, und ebenso wenig verwirklichte er seinen großen Traum, Leichtathletiktrainer an der Weequahic Highschool zu werden. Er unterrichtete gar nicht mehr, und nach einigen missglückten Anläufen - zunächst arbeitete er als Gehilfe in dem Gemüseladen an der Avon Avenue, der einst seinem Großvater gehört hatte, und später, als er aufgrund seiner Behinderung keine andere Stelle finden konnte, für ein paar Monate an einer Tankstelle an der Springfield Avenue, wo er ganz anders war als seine primitiven Kollegen und manche Kunden ihn »Krüppel« nannten - legte er die Prüfung für den öffentlichen Dienst ab. Weil das Ergebnis sehr gut war und er einen Collegeabschluss besaß, bekam er eine Bürostelle im Hauptpostamt und verdiente genug für sich und seine Großmutter.
    Ich traf ihn 1971, Jahre nachdem ich mein Architekturstudium beendet und eine eigene Firma schräg gegenüber dem Hauptpostamt von Newark eröffnet hatte. Möglicherweise waren wir uns auf der Broad Street schon hundertmal begegnet, als ich ihn eines Tages schließlich erkannte.
    Ich war einer der Jungen vom Sportplatz gewesen, die im Sommer '44 Kinderlähmung bekommen hatten, und hatte ein Jahr im Rollstuhl sitzen müssen, bis ich nach intensiver Rehabilitation lernte, mich mit geschienten Beinen, einer Krücke und einem Stock fortzubewegen, wie ich es bis heute tue. Etwa zehn Jahre vor diesem zufälligen Zusammentreffen hatte ich mich, nachdem ich ein Praktikum bei einem Architekturbüro in der Innenstadt gemacht hatte, mit einem Ingenieur zusammengetan, der wie ich in seiner Kindheit Polio bekommen hatte, und eine Firma gegründet. Unsere Spezialität ist der behindertengerechte Umbau von Wohnungen und Häusern, und unser Angebot reicht vom Anbau zusätzlicher Räume bis hin zur Installation von Haltegriffen, absenkbaren Kleiderstangen und leichter bedienbaren Lichtschaltern. Wir entwerfen und bauen Rampen und Treppenlifts, wir verbreitern Türen und nehmen Veränderungen in Bädern, Küchen und Schlafzimmern vor - alles, um das Leben für Menschen, die wie mein Partner auf einen Rollstuhl angewiesen sind, leichter zu machen. Diese Umbauten können recht teuer sein, doch wir tun unser Bestes, die Kalkulationen nicht zu überschreiten und die Kosten niedrig zu halten, und das ist, neben der Qualität unserer Arbeit, ein Hauptgrund für unseren Erfolg. Der Rest war Glück und die richtige Wahl des Zeitpunkts: Als man begann, den besonderen Bedürfnissen Behinderter Aufmerksamkeit zu schenken, war unsere Firma die erste im dicht besiedelten Norden von New Jersey, die darauf spezialisiert war.
    Manchmal hat man Glück und manchmal eben nicht. Jeder Lebensweg ist dem Zufall ausgeliefert; vom Augenblick der Zeugung an regiert der Zufall - die Tyrannei der Umstände - alles. Ich glaube, was Mr. Cantor meinte, wenn er das schmähte, was er als Gott bezeichnete, war eigentlich die Macht des Zufalls.
    Mr. Cantors linker Arm war verkümmert, er konnte die linke Hand nicht gebrauchen, und weil im linken Bein nur ein Teil der Muskeln arbeitete, hinkte er deutlich. Vor einigen Jahren waren sowohl der Ober- als auch der Unterschenkel mit einemmal noch schwächer geworden, und zum ersten Mal seit seiner Rehabilitation vor beinahe dreißig Jahren hatte er heftige Schmerzen in dem Bein. Daher war er nach einer gründlichen ärztlichen Untersuchung zur Prothesenwerkstatt des Krankenhauses gegangen und hatte eine Beinschiene anfertigen lassen, die er unter der Hose tragen konnte. Das half zwar nicht gegen die Schmerzen, verhalf ihm aber in

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