Roth, Philip
Welt versucht hatte, diesen Mann zu brechen, es ihr aber nicht gelungen war. Im Juli 1944, als die zehn Italiener vor dem Sportplatz auftauchten und Mr. Cantor sich ihnen entgegenstellte, war der alte Mann längst einem Herzanfall erlegen, und doch war er während des ganzen Zwischenfalls spürbar anwesend.
Ein Junge, der seine Mutter bei der Geburt und seinen Vater nur wenige Jahre später verloren hatte und dessen Eltern in seinen frühesten Erinnerungen keinerlei Rolle spielten, hätte mit den ererbten Ersatzeltern, die ihn groß und stark werden ließen, nicht gesegneter sein können - nur selten ließ er zu, dass der Gedanke an seine fehlenden Eltern ihn quälte, auch wenn sein ganzes bisheriges Leben von ihrer Abwesenheit geprägt war.
Mr. Cantor war zwanzig und im dritten Studienjahr, als am Sonntag, dem 7. Dezember 1941, die amerikanische Pazifikflotte in Pearl Harbor aus heiterem Himmel von den Japanern bombardiert und beinahe vernichtet wurde. Am darauffolgenden Montag ging er zum Rekrutierungsbüro am Rathaus, um sich freiwillig zu melden, doch wegen seiner schlechten Augen wollte man ihn nicht nehmen, weder die Armee noch die Marine, die Küstenwache oder das Marinecorps. Er wurde als untauglich eingestuft und zurückgeschickt zum Panzer College, wo er sich auf eine Laufbahn als Sportlehrer vorbereitete. Sein Großvater war eben erst verstorben, und Mr. Cantor hatte, so irrational dieser Gedanke auch war, das Gefühl, ihn enttäuscht und seine Erwartungen nicht erfüllt zu haben, dem Vorbild seines unverwüstlichen Mentors nicht gerecht geworden zu sein. Wozu waren seine muskulöse Statur und seine athletischen Fähigkeiten gut, wenn er sie nicht als Soldat einsetzen konnte? Er hatte doch nicht seit seiner frühen Jugend Gewichte gestemmt, nur um stark genug zu sein, einen Speer zu werfen. In seiner Vorstellung war er für das Marinecorps geschaffen.
In den Monaten, die dem Kriegseintritt Amerikas folgten, musste er in Zivilkleidung durch die Straßen von Newark gehen, während alle tauglichen Männer seines Alters in irgendwelchen Ausbildungslagern auf den Kampf gegen die Deutschen und die Japaner vorbereitet wurden - darunter auch seine beiden besten Freunde vom Panzer College, die ihn am 8. Dezember zum Rekrutierungsbüro begleitet hatten. Seine Großmutter, bei der er noch immer wohnte - zum College fuhr er mit dem Zug -, hörte ihn in der Nacht, als seine Freunde zur Grundausbildung nach Fort Dix fuhren, in seinem Zimmer weinen, wie sie ihn noch nie hatte weinen hören. Er schämte sich, in Zivil durch die Straßen zu gehen, er schämte sich, im Kino die Wochenschauen mit den Kriegsberichterstattungen zu sehen, ja er schämte sich, die Schlagzeilen zu lesen, wenn er abends während der langen Busfahrt von East Orange nach Newark neben jemandem saß, der die Abendzeitung las. »Bataan gefallen.«
»Corregidor gefallen.«
»Wake Island gefallen.« Er empfand die Scham eines Mannes, dessen persönlicher Einsatz den entscheidenden Unterschied gemacht hätte, während die amerikanischen Streitkräfte im Pazifik eine gewaltige Niederlage nach der anderen hinnehmen mussten.
Wegen des Krieges und der Wehrpflicht waren Sportlehrer so gesucht, dass er noch vor seinem Abschluss am Panzer College im Juni 1943 eine Stellung an der damals erst zehn Jahre alten Chancellor Avenue School hatte. Außerdem hatte er sich bereiterklärt, in den Sommerferien die Aufsicht über den großen Sportplatz zu übernehmen. Sein Ziel war, Sportlehrer und Trainer an der Weequahic Highschool zu werden, die gleich neben der Chancellor Avenue School eröffnet worden war. Er fühlte sich dorthin gezogen, weil an beiden Schulen die überwältigende Mehrheit der Schüler jüdisch und das Leistungsniveau sehr hoch war. Er wollte diese jüdischen Kinder lehren, sowohl im Sport als auch in den übrigen Fächern hervorragende Leistungen zu bringen und Fairness sowie alles andere, was man im sportlichen Wettkampf lernen konnte, zu schätzen. Er wollte ihnen beibringen, was ihm sein Großvater beigebracht hatte: Zähigkeit und Willenskraft, körperliche Stärke und Tapferkeit sowie die Entschlossenheit, sich niemals herumstoßen oder - nur weil sie ihren Kopf zu gebrauchen wussten - als jüdische Schwächlinge und Muttersöhnchen beschimpfen zu lassen.
Das Gerücht, das sich auf dem Sportplatz verbreitete, als Herbie Steinmark und Alan Michaels mit dem Krankenwagen in die Isolierstation des Beth Israel Hospitals gebracht worden waren,
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