Rotkäppchens Rache
müssen.«
*
Schnee tätschelte die Maus in ihrem Beutel. »Keine Bange! Der Zauber müsste sich in ein oder zwei Tagen verflüchtigen.« Und bis dahin wären sie hoffentlich längst aus Jahrasima verschwunden.
Sie bemerkte die Elfenillusionen kaum, als Talia sie durch den Tunnel zurückführte. Die Kirche war größtenteils leer, bis auf eine Hand voll Leute, die in stummem Gebet versunken waren, und die Kinder, die vorher die Statuetten getragen hatten und jetzt damit beschäftigt waren, den Boden zu fegen.
»Ich hoffe, Vater Uf’uyan konnte eurer Freundin Trost spenden«, sagte Yasar mit einem Blick auf Roudette. Sie hatte die Robe zwar wieder über den Umhang gezogen, bewegte sich aber wie eine Kriegerin, nicht wie eine Leprakranke. Der Priester war schon unterwegs in Richtung Tunnel, zweifelsohne um Uf’uyan zu suchen und herauszufinden, was seinen Versuch, ihre Unterhaltung zu belauschen, durchkreuzt hatte.
»Ich fürchte, sie ist nicht zu trösten«, entgegnete Talia.
Schnee schaute Talia an; als diese nickte, lächelte sie und folgte Yasar durch die Türöffnung.
Kurze Zeit später kam sie zurück, im Beutel bei Uf’uyan eine zweite, etwas lädierte Maus. Am Eingang blieb sie stehen, um die Hände ins Wasser zu tauchen und sich das Gesicht zu waschen. Transformationen waren komplexe Magie; einen solchen Zauber zweimal in so kurzer Zeit zu wirken, genügte, um ihre Kopfschmerzen mit voller Wucht zurückkehren zu lassen. Als sie merkte, dass die anderen sie beobachteten, zwang sie sich zu lächeln. »Also, wo genau finden wir die Villa der Raikh?«
Die Hitze traf Schnee wie ein Schlag von Roudettes Hammer, als sie das Gotteshaus verließen. Zum Schutz vor der Sonne zog sie die Kapuze hoch. In den Straßen herrschte deutlich weniger Betrieb als zuvor.
»Wir sollten uns, wenn möglich, bald hineinschleichen«, meinte Talia und führte sie weiter. »Der Mittag ist die heißeste Zeit des Tages; es ist eine Zeit der Ruhe, die Zeit, ein Mahl und ein kühles Getränk zu genießen.«
Das auffälligste Zeichen für Reichtum im nördlichen Stadtviertel war der Überfluss an Wasser. Die Leute hier benutzten Wasser zur Dekoration wie anderswo die Leute Gold. Wasser stürzte in kleinen Fällen an Fenstern vorbei, stieg als Nebel von prächtigen Springbrunnen aus schwarzem Marmor auf und spiegelte in langen Bassins schimmernd das Sonnenlicht wider.
Menschen wie Elfen gleichermaßen eilten durch die Straßen. Eine Lamassu schritt vorbei, die braunen Flügel an den stierförmigen Körper angelegt. Sie schien die Menschen kaum zu bemerken, die zur Seite wichen und ihr den Weg frei machten.
»Meint ihr, sie hätte etwas dagegen, wenn ich hinlaufe und ihr eine Feder auszupfe?«, fragte Schnee. »Ich habe noch nie eine Lamassu in echt gesehen, und ich würde -«
»Nein!« Talia wartete, bis die Lamassu vorbei war, und zeigte dann auf einen frischen Haufen auf der Straße. »Wenn du ein Andenken möchtest, kannst du dir etwas von dem nehmen, was sie zurückgelassen hat.«
Schnee schnitt eine Grimasse. Schon kam ein Menschenjunge mit einer Schaufel herausgestürzt, um sich um die Hinterlassenschaft zu kümmern.
Die Villa der Raikh stand am Ende ihrer eigenen Straße, umgeben von einer Steinmauer. Männer mit Krummschwertern standen regungslos am Tor, beschattet nur von den Maulbeerbäumen, die neben der Straße wuchsen. Panzer aus überlappenden Metallrechtecken, jedes so groß wie eine Spielkarte, bedeckten die Männer von der Schulter bis zur Mitte der Oberschenkel.
Die Mauer war nur wenig höher als die Wächter und oben mit Eisenspitzen versehen. Die Villa dahinter war im rein aratheanischen Stil errichtet; nirgendwo waren spitze Winkel zu sehen. Die Steinblöcke waren so sauber zusammengefügt, dass das ganze Bauwerk aus einem einzigen Stück orangefarbenem Sandstein gehauen zu sein schien.
Das breite zentrale Gebäude besaß drei Stockwerke und einen schmalen Turm, der sich zweimal so hoch erhob. Gebäudeseitenteile schoben sich nach vorn wie Arme, die sich ausstreckten, um alle zu umfassen, die sich näherten.
Aus der Mitte des Gebäudes ragte ein kleiner, kreisrunder Balkon heraus. Die Fenster waren schmal, aber im Überfluss vorhanden. Schnee sah kein Glas, sodass es vielleicht möglich gewesen wäre, sich auf diesem Weg hineinzuschleichen, wäre da nicht die Schwierigkeit gewesen, am helllichten Tag die Mauern hochzuklettern.
»Rajil hat mit Sicherheit noch mehr Männer im Inneren«, sagte
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