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Rotkehlchen

Rotkehlchen

Titel: Rotkehlchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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gestanden, aber haben Sie ihm etwas über Ihre Erlebnisse an der Ostfront erzählt?«
    »Ja, natürlich. Es passierte ja nicht so viel, da im Wald, wir haben uns immer wieder zurückgezogen und die Deutschen belauscht. Und während wir warteten, hatten wir viel Zeit für lange Geschichten.«
    »Haben Sie viel von Daniel Gudeson erzählt?«
    Fauke sah Harry lange an.
    »Sie haben entdeckt, dass sich Even Juul für Daniel Gudeson interessiert?«
    »Vorläufig rate ich nur«, antwortete Harry.
    »Ja, ich habe viel von Daniel erzählt«, sagte Fauke. »Daniel Gudeson war ja so etwas wie eine Legende. Eine derart freie, starke und glückliche Seele wie ihn trifft man nur selten. Und Even war fasziniert von diesen Geschichten. Ich musste sie wieder und wieder erzählen, insbesondere die von dem Russen, zu dem sich Daniel hinauswagte und den er dann begrub.«
    »Wusste er, dass Daniel während des Krieges in Sennheim gewesen war?«
    »Natürlich. Even erinnerte mich immer an alle Details über Daniel, die ich selbst mit der Zeit vergaß. Even erinnerte sich daran. Ausirgendeinem Grund schien sich Even vollständig mit Daniel zu identifizieren, auch wenn ich mir kaum zwei unterschiedlichere Menschen vorstellen kann. Einmal, als Even betrunken war, schlug er mir vor, ihn doch Urias zu nennen. Genau, wie Daniel das gewollt hatte. Und wenn Sie mich fragen, war es auch kein Zufall, dass er in Anbetracht des Prozesses ein Auge auf Signe Å lsaker warf.«
    »Ach nein?«
    »Als er erfuhr, dass über Daniel Gudesons Verlobte geurteilt werden sollte, kam er in den Gerichtssaal und saß dort den ganzen Tag, bloß um sie zu sehen. Es sah wirklich so aus, als hätte er sich bereits vorher entschlossen, sie haben zu wollen.«
    »Weil sie Daniels Frau war?«
    »Sind Sie sicher, dass das wichtig ist?«, fragte Fauke und ging so schnell den Pfad zum Hügel hinauf, dass Harry lange Schritte machen musste, um ihm zu folgen.
    »Ziemlich«, sagte Harry.
    »Ich weiß trotzdem nicht, ob ich das sagen sollte, doch persönlich glaube ich, dass Even Juul den Mythos Daniel Gudeson viel stärker liebte, als er seine Frau jemals geliebt hat. Ich bin mir sicher, dass die Bewunderung für Gudeson mit eine Ursache dafür war, dass er sein Medizinstudium nach dem Krieg nie wieder aufgenommen hat, sondern stattdessen Geschichte studierte. Und natürlich wurden die Okkupation und die Frontkämpfer sein Spezialgebiet.«
    Sie erreichten die Anhöhe im Park und Harry wischte sich den Schweiß von der Stirn. Fauke atmete kaum schneller.
    »Einer der Gründe, warum Even Juul so schnell eine wichtige Position als Historiker bekam, war die Tatsache, dass er als Widerstandskämpfer ein perfektes Instrument für die Geschichtsschreibung war, die die Regierung als dienlich für das Nachkriegsnorwegen erachtete. Und zwar, weil er die ausgedehnte Kollaboration mit den Deutschen verschwieg und sich auf das bisschen Widerstand konzentrierte, das es gegeben hat. So werden dem Versenken der Blücher in der Nacht zum 9. April fünf Seiten in Juuls Geschichtsbuch gewidmet, während er still und leise ignoriert, dass man nach dem Krieg beinahe hunderttausend Norweger vor Gericht stellen wollte. Und das hat funktioniert, der Mythos von einem geeinten Volk gegen die Nazis existiert noch heute.«
    »Wird Ihr Buch davon handeln, Herr Fauke?«
    »Ich versuche nur, die Wahrheit zu sagen. Even wusste, dass das, was er geschrieben hatte, wenn nicht Lüge, so doch eine Verdrehung der Wahrheit war. Ich habe einmal mit ihm darüber gesprochen. Er verteidigte sich damit, dass es zur damaligen Zeit dazu diente, das Volk zusammenzuhalten. Das Einzige, das er nicht in der gewünschten heldenmutigen Form hatte darstellen können, war die Flucht des Königs. Er war nicht der einzige Widerstandskämpfer, der sich 1940 hintergangen fühlte, doch ich habe sonst niemanden getroffen, dessen Wut sich so einseitig darauf richtete, nicht einmal an der Front. Sie müssen sich vorstellen, dass er sein ganzes Leben lang immer von den Menschen verlassen worden ist, die er geliebt hat und denen er vertraute. Ich glaube, er hat jeden Einzelnen gehasst, der nach London gegangen ist. Von ganzem Herzen. Wirklich.«
    Sie setzten sich auf eine Bank und sahen auf die Kirche in Fagerborg herab, die Hausdächer in den Pilestr æ de, die sich in Richtung Oslofjord aufreihten, der weit unten blau blinkte.
    »Das ist schön«, sagte Fauke. »So schön, dass man manchmal dafür sterben könnte.«
    Harry versuchte, all

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